Full text: Die Psychologie der Reichsfinanzreform

22 
98 
anlangt, so möchte ich mir nur gestatten, auf einen Umstand hin 
zuweisen, der meines Erachtens dieses System sofort ad absurdum 
führen muß. Den Bedürfnissen der Landwirtschaft ist durch das 
Bürgerliche Gesetzbuch angeblich dadurch in besonderer Weise 
Rechnung getragen worden, daß man die Bestimmung getroffen 
hat, daß in Erbfällen, wenn kein Testament vorhanden ist — und 
das kommt ja auf dem Lande nicht gerade sehr selten vor — bei 
Vererbung von ländlichem Grundbesitz von den Gerichten der 
Ertragswert zugrunde gelegt werdeh soll. Meine Herren, das 
B.G.B. ist jetzt 8 Jahre in Kraft und wenn wir uns einmal Klar 
heit darüber verschaffen, wie denn diese angeblich zugunsten der 
Landwirtschaft getroffene gesetzliche Bestimmung eigentlich durch 
geführt wird, so ergibt sich, daß bis heute weder in Preußen, noch 
von den meisten übrigen Bundesstaaten Ausführungsbestimmungen 
darüber erlassen worden sind, in welcher Weise ein solcher Er 
tragswert festzustellen ist. Warum ist das nicht geschehen, 
meine Herren? Weil die Ermittlung eines richtigen Ertrags 
wertes in der Landwirtschaft so ungeheuer schwierig ist, daß man 
im Laufe von 8 Jahren noch keine Lösung gefunden hat. Das 
vor 2 Jahren erlassene Reichserbsehaftssteuergesetz hat allerdings 
einen Ertragswert konstruiert, der aber auch danach ist und daher 
nur auf dem Papier steht. Infolgedessen wird in der Regel ruhig 
der Verkaufs wert genommen. Daraus dürfte sieh zur Genüge 
ergeben, daß die vom Herrn Vortragenden besonders hervor 
gehobene der Landwirtschaft durch Zubilligung der Steuer 
erhebung vom Ertragswerte verheißene Begünstigung solange 
völlig in der Luft lebt, wie die in Frage kommenden Grundsätze 
der Veranlagung nicht bekannt sind, und das ist bis dato nicht 
der Fall. 
Dann der schöne Vorteil mit der Ratenzahlung! Die Raten 
zahlung kann meines Erachtens nur dazu führen, daß die ganze 
Steuer meistens von den Miterben auf den Grundstücksübernehmer 
abgewälzt wird. Das ist ein Gesichtspunkt, der außerordentlich 
wichtig ist, denn die Rentenzahlung kann das größte Kreuz für 
die Landwirtschaft werden und sie stärker belasten, als die Ka 
pitalszahlung. 
Wenn der Herr Referent dann den Familiensinn erwähnte, 
so will ich dieses sogenannte psychologische Moment hier ganz 
außer acht lassen, aber noch auf einen anderen Punkt zu sprechen 
kommen. Der Herr Referent nahm zum Beweise der Zweck 
mäßigkeit dieser Steuer für den ländlichen Besitz auf England 
Bezug. Ja, meine Herren, wie kann man die landwirtschaftlichen 
Verhältnisse von Deutschland mit denen von England vergleichen, 
(sehr richtig!) 
wo wir genau wissen, daß sich in England drei Viertel des ganzen 
Grundbesitzes in der Hand von ein paar Hundert Lords befindet. 
Dort besteht ein ganz ausgebildetes Pächtersystem; infolgedessen 
zahlt in England nicht der eigentliche Landwirt die Steuern, 
sondern in der Regel der kolossal reiche Großgrundbesitzer, dessen 
riesige Reichtümer zum großen Teil aus der Industrie stammen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.