Die "Wohnungsfrage.
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„Hört ihr, Brüder, nicht die Kinder weinen,
Eh’ die Zeit der Sorgen ist erfüllt?
An die Mutter lehnen sich die Kleinen,
Die der Tränen Lauf nicht stillt.
Die jungen Lämmer blöken auf den Matten,
Die jungen Vögel zwitschern in dem Nest;
Die jungen Kehe spielen in dem Schatten,
Die Blümlein blüh’n, gekost vom "West;
Doch der jungen Kinder Frohsinn, Brüder,
Ist allein verbannt!
Sie nur weinen in der Zeit der Lieder
In der Freiheit Land ! “
Hier ist das Feld, wo die wahnwitzige Gier nach Gold
schamlos und ohne Erbarmen den verarmten Menschen die
letzten Heller für ein Obdach auszupressen sucht, sicher,
daß die Armen nicht mehr entrinnen können. Denn wohin
anders als in die Stadt könnten diese noch wandern, nach
dem der Hunger sie von dem Ackerlande vertrieben! Über
den Ozean in fremde Länder sind freilich ungezählte ge
zogen, aber nicht alle hatten dazu Lust, nachdem es ihnen
verwehrt, auf dem platten Lande als Bauern und Tage
löhner ihr Brot zu erwerben. Das Vaterland hat keinen
Raum mehr für seine Kinder, es läßt sie darben, wo für
alle genug ist. Sind nicht auch heute die Worte zutreffend,
welche der mutige Volkstribun Tiberius Gracchus den
Plebejern zurief: „Männer Roms, ihr werdet die Herren
der Welt genannt, und doch habt Ihr kein Recht auf einen
Fuß breit ihres Bodens! Die wilden Tiere haben ihre
Höhlen, aber die Krieger Italiens nur Wasser und Luft.“
Zur großen Stadt treibt hypothekarische Verschulduug
und Arbeitslosigkeit Bauern und Tagelöhner, und mit der
relativen Entvölkerung des platten Landes steht das krank
hafte Anwachsen der Städte in direktem Zusammenhänge.
Die Zunahme des Großgrundbesitzes und der hypothekarischen
Verschuldung haben einen unheilvollen Wandertrieb in die
ländliche Bevölkerung gebracht.
Von großem Interesse ist ein Vergleich zwischen der
Wehberg, Die Bodenreform. . 9