20
zu beschaffen, denn es warten so viele reiche
Leute darauf, der Regierung Gefälligkeiten er
weisen zu können, um dafür mit einem Titel oder
Orden ausgezeichnet zu werden.
Das sind aber nicht die Männer, die ihren
wahren Bürgerstolz haben, die genau wissen, dass
ihnen die Achtung ihrer Mitbürger durch ehr
liches Handeln absolut gesichert ist, sondern häu
figer jene Existenzen, die ihr Vermögen auf nicht
immer kontrollierbare Weise gewonnen haben
und sich nun gern offiziell abstempeln lassen
wollen, was sie mit einem Paket von Tausend
markscheinen erledigen, das sie für irgend einen
genehmen Zweck aus der Tasche holen.
Fragt die Regierung danach, wie ein Mann,
der eine Auszeichnung zu erhalten sich bemüht,
sein Geld erworben hat? Dass der Kandidat un
bestraft sein und in der breiten Oeffentlichkeit
sich nicht kompromittiert haben muss, das ist
selbstverständlich, weil sonst die Gefahr des
Skandals zu gross wäre. Aber wir brauchen uns
nur die Fälle anzusehen, wo Männer, die Titel
und Orden erhalten haben, später in bösen
Prozessen, vor der Oeffentlichkeit gedemütigt
werden mussten, und ihr wahres Wesen zum Vor
schein kam.
Jedenfalls sollte man es als eine selbstver
ständliche Voraussetzung annehmen können, dass
der Staat jeden, den er auszeichnet, auf seine sitt
liche Unbescholtenheit erst auf Herz und Nieren
prüfen müsste, denn der Staat ist doch der oberste
Hüter der Sittlichkeit, der die staatsbürgerliche
Erziehung zu veranlassen und zu überwachen hat.
Das ist aber nur erreichbar, wenn die Aus
zeichnungen in einem öffentlichen Verfahren er
folgen, wenn die Kandidaten öffentlich bekannt
gegeben werden und die Möglichkeit besteht Ein
wendungen mit Begründungen erheben zu können.
Ob die Zahl der Kandidaten mit sauberen Händen
dann auch noch so erheblieh sein würde?
Der Staat fragt nicht, lieber Kandidat, wie
viele Existenzen hast du auf dem Wege zur Er
langung Deines Vermögens vernichtet, wie viele
Leichen liegen auf dem Wege, den Du gegangen
bist. Er erfährt es garnicht! Er stellt nicht
die eigentlich selbstverständliche Forderung, dass
der Kandidat den Nachweis führen müsste, dass
er sein Geld, das er abgeben will, auf sittlich
absolut einwandfreie Weise erworben hat. Es
fehlt eben die öffentliche Anerkennung dieser
höchsten sittlichen Forderung, und dieses
Fehlen ist die Ursache, dass es möglich ge-
geworden ist, dass Männer ganz in einseitiger
Richtung des unbegrenzten Gelderwerbes ohne
Rücksicht aut die Opfer, die dabei fallen, sich
überhaupt betätigen können.
Der Staat bekämpft gesetzlich das Bestechungs
wesen ! Und wie steht es mit der militärischen
Spionage? Opfert er nicht hierfür bedeutende
Summen? Und wie steht es im Handel? Dem
Angestellten wird jeder Vertrauensmissbrauch
zum schwersten Vorwurf gemacht. Und wie ver
schaffen sich die Firmen Angebote ihrer Kon
kurrenz, um deren Preise zu erfahren!
Weiter betrachten wir das Konsulatswesen,
soweit es sich hier um Wahlkonsuln handelt. Ist
es sittlich oder unsittlich, wenn ein angesehener
Bürger mit Beziehungen und Verbindungen nach
allen Richtungen hin, den die Regierung mit
Titeln und Orden auszeichnet, den seine Mit
bürger in Führerstellen wählen, sich in den
Spionagedienst fremder Mächte stellen als deren
Konsuln, um diesen fremden Konkurrenten Mittel
und Wege zu zeigen, auf denen es möglich ist,
ihrem eigenen Vaterlande den Wettbewerb zu er
schweren ?
Und wie steht es nun mit den politischen
Parteien. Auch hier ist es die Geldfrage, die die
Parteien unsittlich macht. Nur mit dem Oelde
des Kapitals sind die grossen Parteien in der Lage,
die Mittel für die Wahlkämpfe aufzubringen.
Und wehe dem Abgeordneten, der den Mut finden
wollte, gegen diese Kapitalsquellen, die in ihrem
eigensten Interesse diese Opfer bringen, etwas
unbequemes vorzubringen. Die Quellen würden
sofort versiegen, weil die Mittel nicht aus sittlichen,
sondern aus unsittlichen Motiven hergegeben
werden.
Wo wir also auch hinsehen, überall finden
wir nicht sittliche, sondern unsittliche Kräfte
wirksam.
Das Volk ist wie Wasser, sagte Napoleon I.,
das die Gestalt jedes Oefässes annimmt, in das
man es hineintut; tut man es aber überhaupt in
kein Qefäss, so fliesst es ziel- und zwecklos aus
einander. Will ein Volk bestehen, so muss es
sich zum Staatsgebilde formen und dieser Staat,
seine Regierung hat die erste Pflicht auf sittlichem
Boden zu stehen. Wenn die Regierungsform
nicht auf sittlichem Boden aufgebaut ist, dann
kann sich auch unmöglich das Volk sittlich ent
wickeln. Daher ist es die höchste Pflicht, Sorge
zu tragen, dass das Haupt eines Volkes, seines Re
gierung, alles aus ihren Mitteln ausscheidet, was
den Geboten der Sittlichkeit zuwider ist, d. h.
dass sie vor allem die von sich abschüttelt, die
ihr unsittlich dienen wollen. Eine Aenderung
wird sich aber erst dann anbahnen, wenn die
Regierung nur solche Männer auszeichnet, die
nach dem Urteil der Mitbürger sich auf einer
sittlichen Grundlage emporgearbeitet oder er
halten haben.