Die Höhe der Zinssätze beweist auch in diesem‘ Jahre
wieder, daß zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage ein
großes Mißverhältnis besteht. Während in der ersten Hälfte des
Jahres 1927 die Geldsätze für Monatsgeld an der Berliner Börse
um. .7% ‘herum schwankten, lagen. sie im ganzen Jahr 1928
zwischen 8 und 9% und stiegen nach einer vorübergehenden
Senkung im ersten Vierteljahr 1929 (seit Juni) auf etwa 10%,
Die Gesamtkosten für langfristige Markkredite liegen noch er-
heblich höher. Wenn in den letzten Jahren nicht in großem
Umfange die ausländischen Kredite hereingekommen wären, so
würden die Zinssätze wohl noch höher sein. Für erste Hypo-
theken zahlte man das ganze Jahr hindurch 10%M-11%, für
zweite 14-15%. Gerade die schlechte Lage des Real-
kreditmarktes ist besonders bezeichnend für die Kapital-
not: die geringe Aufnahmefähigkeit. des inländischen, noch
durch die vielen Emissionen von 1926/27 verstopften Marktes
ließ im letzten Jahr die Kurse der Pfandbriefe sich
weiter senken. Im November lag der Durchschnitt der Sproz.
Goldpfandbriefe nur wenig über 92% gegen 96,83% im Jahres-
durchschnitt 1928, und das trotz ununterbrochener Stülzungs-
{ätigkeit der Emissionsbanken. Bei dieser Sachlage mußten die
)Jangfristigen Ausleihungen der Bodenkreditinstitute
erheblich eingeschränkt werden: in den ersten zelın
Monaten des Jahres haben sie insgesamt 1070 Mill. RM an lang-
fristigen Krediten (städtische. und landwirtschaftliche Ilypo-
theken sowie Kommunaldarlehen) gewährt, das sind etwa 900
Mill. RM weniger als in der gleichen Vorjahrszeit. Dieser Rück-
gang konnte zwar durch erhöhte Hypothekarausleihungen der
Sparkassen (Januar-Oktober 1177 gegen 1106 Mill. i. V.) etwas
gemildert, aber nicht ausgeglichen werden.
Der Grad des industriellen Kapitalbedarfs und
seine Befriedigung läßt sich in normalen Zeiten mit einiger
Deutlichkeit an der Aktienausgabe beurteilen. In diesem
Jahre läßt sich daraus nur wieder das Minus an Bedarfsdeckung,
die Einengung des Kapitalmarktes auch für diese Zwecke er-
sehen: nur 821 Mill. RM Aktien-Neuausgaben (Nennbetrag) sind
bis Oktober zu verzeichnen gegen 1432 im ganzen Jahre 1928,
und zwar ohne Sacheinlagen und Verschmelzungen. Der Kurs-
wert dieser Ausgaben (also der tatsächliche Kapitalzufluß in
bar) betrug 896 Mill... Auch aus diesem geringen Agio ist er-
sichtlich, wie sehr die normale börsenmäßige Befriedigung des
industriellen Kapitalbedarfs zurückgegangen ist. Die Aktien-
Ausgaben wären zahlenmäßig wahrscheinlich noch geringer, wenn
nicht bei einigen Unternehmungen größere Posten vom Ausland
übernommen worden wären. )
DM