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V. Kapitel.
oder ein „Abgeratenes‘“.‘ Im gewöhnlichen Sprachgebrauche meint
man allerdings stets ‚„Geratenes‘‘ als „An geratenes‘‘ und sagt etwa,
daß A dem B besonderes Unterlassen geraten habe, womit man meint,
Jaß A dem B besonderes Handeln abgeraten hat. ;
Von der bloßen „Lehre“ unterscheidet sich ein „Rat“ dadurch,
daß mit einem Rate nicht überhaupt darauf gezielt wird, einem Anderen
den Gedanken an solche Richtlinien zugehörig zu machen, durch deren
Einhaltung der ihn betreffende Interessengesamtzustand verbessert oder
verschlechtert würde, sondern lediglich darauf gezielt wird, dem Anderen
solche Richtlinien mitzuteilen, deren Kenntnis für ihn wegen einer ihm
zugehörigen Unlust (Vor-Unlust) bzw. Lust (Vor-Lust) „aktuell“ wichtig
ist. Wohl aber kann der Ratgeber mit seinem Rate eine Behauptung
verbinden, mit welcher er darauf zielt, im Anderen besondere Unlust
bzw. Lust zu wecken. Sagt z. B. A zu B: „Wenn Sie nicht zurück-
gehen, werden Sie überfahren‘‘, so zielt A mit den Worten ‚werden
Sie überfahren‘ darauf, in B eine Unlust an einer bisher nicht be-
merkten Gefahr zu wecken, während er ihm eben mit den Worten:
„wenn Sie nicht zurückgehen‘ den jener Unlust entsprechenden Rat
gibt. Statt: „Wenn Sie nicht zurückgehen, werden Sie überfahren‘‘
müßte vollständig gesagt werden: „Gegenwärtig besteht die Gefahr, daß
Sie überfahren werden. Diese Gefahr können Sie durch Zurückgehen
ausschalten.“ In solchem Falle liegt im Gegensatze zu einem „ein-
fachen Rate“ ein „mit Lust bezw. Unlust-Werbung ver-
bundener Rat“ vor, welcher immer dann gegeben wird, wenn jemand,
der einem Anderen einen Rat geben will, meint, daß dem Anderen
eine besondere Lust oder Unlust mangels besonderen Wissens noch
nicht zugehört. Ein „urteilhafter Rat“ ist jener Rat, mit welchem
der Ratgeber darauf zielt, dem Beratenen einen ihm selbst, dem Rat-
geber, zugehörigen Gedanken zugehörig zu machen, ein „lügenhafter
Rat“ liegt hingegen vor, wenn der Ratgeber darauf zielt, dem Be-
ratenen einen ihm selbst, dem Ratgeber, nicht zugehörigen Gedanken
zugehörig zu machen. Ein „guter Rat‘ liegt vor, wenn der mit dem Rate
behauptete Gedanke „wahr“ ist, ein „schlechter Rat“ liegt vor, wenn der
mit dem Rate behauptete Gedanke „unwahr“‘ ist, Ein „reiner Rat“
liegt vor, wenn jemand mit seinem Rate lediglich darauf zielt, daß dem
Anderen ein „ratgemäßer Glaube‘ zugehörig werde, ein „auf Wollen-
bzw. Wider-Wollen-Anregung gerichteter Rat“ liegt hingegen
vor, wenn jemand mit seinem Rate darauf zielt, dem Anderen durch
den „ratgemäßen Glauben‘ einen besonderen ‚,Verhalten-Seelenaugen-
blick‘ zugehörig zu machen. Ein „auf Wollen- bzw. Wider-Wollen-
Anregung gerichteter Rat“ ist entweder ein „uneigennütziger Rat“
oder ein „eigennütziger Rat“. Mit einem „uneigennützigen Rate‘“
wird darauf gezielt, daß der Andere den ihn betreffenden Interessen-