Full text: Einführung in die Kriegswirtschaftslehre

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Richtung voreingenommen sind, daß wir kaum 
so bald dazu gelangen dürften, diese Frage all 
gemein zu beantworten, sind doch die Wirkungen 
des Krieges bei den verschiedenen Völkern und 
zu verschiedenen Zeiten je nach der Verschieden 
heit der gesellschaftlichen Organisation überaus 
verschieden. Die scheinbar naheliegendsten Ar 
gumente erweisen sich als korrekturbedürftig. Die 
ersten tastenden Versuche mahnen bereits zur 
Vorsicht. 
Man versucht zum Beispiel vielfach die 
Wirkungen des Krieges etwa in der Weise zu be 
stimmen, daß man alle Menschen, welche der 
Krieg tötet, alle Menschen, welche die stehende 
Armee absorbiert, nach ihrer Produktionsfähigkeit 
abschätzt und die Gesamtheit der so vernichteten 
Produktivkräfte als reinen Verlust in Abzug 
bringt. Abgesehen davon, daß man außerdem 
noch den Gewinn des Krieges in Anrechnung 
bringen muß, ist auch die angedeutete Betrach 
tungsweise nicht immer am Platze. Und zwar 
deshalb nicht, weil sie davon ausgeht, daß alle 
Organisationen, vor allem diejenige, in der wir 
leben, eine volle Ausnützung aller Kräfte in nor 
malen Zeiten kennt. Dies ist nun nicht der Fall. 
Man kann sich zwar Organisationen denken, 
welche alle Kräfte voll ausnützen, unsere Organi 
sation gehört nicht zu ihnen. Jedem ist der Aus 
druck «Ueberproduktion» bekannt. Man erwähnt 
eine Ueberproduktion von Büchern, von Tuch, 
von Aerzten usw. Was bedeutet dieses Wort? 
Offenbar nicht, daß mehr produziert wird, als 
man konsumieren kann. Denn es ist doch klar, 
daß es immer noch Menschen gibt, welche für 
Bücher Verwendung hätten, daß es Menschen 
gibt, die eines Arztes bedürfen, daß es Menschen 
gibt, welche sich ungenügend bekleiden. Unter 
dem Worte Ueberproduktion versteht man etwas 
anderes, es bedeutet, daß die weitere Produktion 
den Produzenten keine Vermehrung des Rein 
gewinnes bringen würde. Tabelle I zeigt uns, 
wie wir uns etwa die Tatsache zu erklären haben, 
daß bei steigender Produktion die Rentabilität ab 
nimmt. Das Beispiel stellt nach mehr als einer 
Richtung eine Vereinfachung dar, gibt uns aber 
ausreichende Aufklärung. Wir sehen deutlich, wie 
der Reingewinn des Produzenten im vorliegenden 
Falle zwar absolut und prozentuell ansteigt, wenn 
der Produzent 150 Stück statt 100 erzeugt, wir 
sehen aber auch, daß der Reingewinn sofort fällt, 
wenn er die Produktion fortsetzt. Die Ziffern der 
Selbstkosten und des Erlöses sind dabei ganz 
den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend an 
gesetzt. Wir sehen, wie die Stückselbstkosten bei 
steigender Produktion fallen, die Gesamtselbst 
kosten aber ansteigen. Sie könnten eventuell auch 
konstant bleiben. Wenn ich zum Beispiel Fische 
fange, sind die Selbstkosten eines großen Fanges 
ebenso hoch wie die eines kleinen Fanges. Aber 
bei der Fabrikation von Waren sehen wir immer 
ein Ansteigen der Gesamtselbstkosten. Je mehr 
Stücke einer Ware auf den Markt kommen, desto 
tiefer fällt der Stückpreis, der Gesamterlös kann 
dabei steigen, wie dies in unserem Beispiel der 
Fall ist. 
Tabelle I. 
Abhängigkeit des Reingewinnes von der produzierten 
Menge: 
Anzahl 
der pro 
duzierten 
Stücke 
Selbstkosten 
Erlös 
Reingewinn 
pro 
Stück 
im 
ganzen 
pro 
Stück 
im 
ganzen 
pro 
Stück 
im 
ganzen 
in 
»Io 
100 
10 
1000 
10-50 
1050 
0-50 
50 
5 
150 
8 
1200 
8-72 
1308 
0-72 
108 
9 
200 
7 
1400 
7-28 
1456 
0-28 
56 
4 
Wenn Unternehmer im vorhinein wissen, daß 
bei wachsender Produktion der Reingewinn sinken 
wird, schränken sie absichtlich die Produktion ein. 
Dies tun zum Beispiel sehr viele Kartelle, ja es 
gibt solche, die in erster Reihe zu dem Zweck 
geschlossen werden, um eine einverständliche 
Produktionseinschränkung zu ermöglichen. So 
haben zum Beispiel die österreichischen Baum 
wollspinner im Herbst 1912 eine 33prozentige 
Betriebsreduktion vogenommen. Ein Teil der 
Maschinen mußte ruhen, die Arbeiter, welche sie 
sonst bedienten, mußten feiern. 
Man hat gelegentlich die Vermutung aus 
gesprochen, der sinkende Reingewinn deute nichts 
anderes an, als die Tatsache, daß an anderen 
Stellen der Produktion Arbeitskräfte nötiger 
wären als gerade dort, wo der Reingewinn sinkt. 
Wenn der Reingewinn in derTextilindustrie sinke, 
so komme das etwa daher, daß man in der 
Landwirtschaft Arbeiter brauche. Dort verzinse 
sich das Geld besser. Man kann auf verschiedene 
Weise zeigen, daß diese Betrachtung nicht all 
gemein giltig sein kann. Am einfachsten dürfte 
man das Ziel erreichen, wenn man ein einfaches 
Beispiel betrachtet, in dem die Vernichtung einer 
Gütermenge die Rentabilität erhöht, in einem Fall, 
in dem die Produktion der größeren und der 
kleineren Gütermenge gleich viel kostet. Archen 
holz, dessen Geschichte des siebenjährigen Krieges 
recht bekannt ist, hat eine zeitlang regelmäßige 
Berichte über englische Verhältnisse veröffentlicht, 
ln einem derselben lesen wir nun folgendes*: 
«Die Fleischer in London fuhren mit ihrem 
abscheulichen Gebrauch fort, große Säcke mit 
frischem Fleisch des Nachts in die Themse zu 
werfen, um es nicht, wegen des Ueberflusses not 
gedrungen unterm Preise zu verkaufen, oder es 
umsonst wegzugeben. Alle Mittel, diesem Unfug 
zu steuern, waren vergebens. Die Fischhändler in 
London hatten einen ähnlichen Gebrauch. Sie 
gaben den auf der Themse ankommenden Fischer 
fahrzeugen, noch ehe sie London erreichten, durch 
Signale von dem Zustand des dasigen Fisch 
marktes Nachricht. Befand sich dieser wohl ver 
sehen, so wurden, um keinen Ueberfluß zu er 
* J. W. v. Archenholz, Annalen der Britischen Ge 
schichte des Jahres 1788. I. Bd. Carlsruhe 1790. 10. Ab 
schnitt, S. 362.
	        
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