Full text: Einführung in die Kriegswirtschaftslehre

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geführt werden sollen. Man könnte sich denken, 
daß auf diese Weise z. B. Albanien der Geld- 
Wirtschaft zugeführt werden könnte. Legt man 
unmittelbar eine Geldsteuer auf, so wird das 
Land von den Zwischenhändlern und Geldgebern 
abhängig. Wenn hingegen die Naturalsteuer 
dngehoben wird, der Ertrag aber von der Re 
gierung verkauft wird, entfällt diese Gefahr. Die 
Einhebung von Naturalsteuern im Kriegsfälle 
wird daher besonders in den östlichen und süd 
lichen Gebieten der Monarchie sehr in Frage 
kommen. Uebrigens haben die Südstaaten im 
Jahre 1864 der Regierung noch außer der Steuer 
Und den Requisitionen ein Kaufrecht auf ein 
Weiteres Zehntel aller Waren gesichert. 
Ich erörtere die Frage der Großnaturalwirt- 
s chaft immer wieder und mit einigem Nachdruck, 
Weil ein weit verbreitetes Vorurteil die Natural 
wirtschaft für primitiver und unentwickelter als 
Jie Geldwirtschaft ansieht, was aber keineswegs 
Jer Fall ist. Es gibt zwar Naturalwirtschaftszu- 
s tände sehr primitiver Art, aber es gibt natural- 
Wirtschaftliche Organisationstypen, die höher 
s tehen als irgendwelche geldwirtschaftliche Or 
ganisationstypen. 
Daß man in leitenden Kreisen die Möglich 
keit jns Auge faßt, in einem Kriege in das Pri- 
v ateigentumsrecht eingreifen zu müssen, beweist 
Jas österreichische Kriegsleistungsgesetz. Es ist 
^merkenswert, wie geringen Widerstand dieses 
Gesetz eigentlich gefunden hat. Vor einer Generation 
hätte man vielleicht analoge Bestimmungen im 
Kriegsfälle auf dem Verordnungswege erlassen 
Und dabei einen Sturm der Entrüstung erregt. 
Eeute ist man an Staatsintervention weit mehr 
Gewöhnt, ein großer Teil der Bevölkerung be 
wußt sie sogar. Unternehmer wie Arbeiter rufen 
s 'e nicht selten an. Das Kriegsleistungsgesetz 
Jenkt in erster Reihe an die Bedarfsdeckung der 
Armee, doch wird man wohl nicht fehlgehen, 
Venn man für den Fall eines Weltkrieges auch 
Uiit der Anwendung dieses Gesetzes zur Bedarfs 
deckung der Zivil bevölkerung rechnet, wenig 
stens was Lebensmittel, Kohlen und einige andere 
nichtige Artikel anbelangt. Der Regierung gibt 
Jas Kriegsleistungsgesetz die Handhabe, Pro 
duktionsmittel und Arbeitskräfte für sich zu ver 
wenden. Die individuelle Freiheit wird auf solche 
sehr eingeschränkt; daß sich aber diese 
Einschränkung auch auf die Disziplinarordnung 
^strecken müsse, welche den Militärbehörden 
Unvertraut wurde, wird von manchen Seiten 
bestritten. Das Kriegsleistungsgesetz ist ein 
Glied in einer Kette. Es deutet darauf hin, 
daß im Kriegsfälle die Versorgung der Groß- 
s tädte und anderer Gebiete wohl von Staats- 
^ e gen erfolgen dürfte, sobald die normalen 
arsorgungsmechanismen die ersten Schwächen 
j^lgen. Ob es freilich nicht zweckmäßiger wäre, 
d'ese i m Falle eines Weltkrieges wohl kaum ver- 
d^idliche Organisation schon in Friedenszeiten 
thematisch vorzubereiten, ist eine andere 
Pr age. 
Welche Folgen die Verwendung von Nicht 
kombattanten im Kriegsfälle auf Grund des 
Kriegsleistungsgesetzes haben kann, läßt sich 
heute noch nicht übersehen. Es werden wohl 
Fälle Vorkommen, in denen der Feldherr es für 
zweckmäßig erachten kann, die Hilfskräfte der 
feindlichen Armee, welche das Kriegsleistungs 
gesetz ihr zur Verfügung stellt, unschädlich zu 
machen, eventuell durch Gefangennahme. Wenn 
eine Armee zurückmarschieren muß, wird sie 
vielleicht in einem Weltkriege nicht nur die 
Eisenbahnlinien zerstören, sondern auch die Ar 
beitskräfte mit in die Gefangenschaft schleppen, 
welche geeignet wären, diese Linien in kurzer 
Zeit wieder herzustellen. Man kann diese Konse 
quenzen nicht genau voraussehen, daß aber die 
Angliederung von Zivilpersonen an die Armee 
irgend welche Folgen zeitigen wird, kann man 
wohl als sicher annehmen. Man wird schließlich 
so weit kommen, Zivilarbeiter als eine Art Kon 
terbande zu betrachten. Vor allem wird man die 
Zivilarbeiter des Feindes, die bereit waren, auf 
Grund eines Kriegsleistungsgesetzes für ihn zu 
arbeiten, falls man sie gefangennehmen sollte, für 
sich selbst arbeiten lassen. Wenn man dadurch 
die eigene Bevölkerung entlastet und dies wäh 
rend eines Weltkrieges in großem Maßstabe tut, 
könnte eine Umgestaltung des Arbeitsverhältnisses 
überhaupt die Folge sein. 
Die ganze Struktur des Kriegsleistungsge 
setzes bringt es deutlich zum Ausdruck, wie innig 
im Kriegsfall das Zusammenwirken von Militär- 
und Zivilverwaltung sich gestalten wird. Die Er 
fahrungen aus dem Balkankriege lassen schließen, 
daß die scharfen Unterschiede während des Krieges 
selbst vielfach ganz verwischt werden dürften. 
Persönliche Tüchtigkeit wird bei Anordnungen, 
die auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes erlassen 
werden, oft entscheiden, ob das Zivil oder das 
Militär die Ausführung bestimmter Maßnahmen 
auf sich nimmt. Sobald die Notwendigkeit dieser 
Zusammenarbeit allgemeiner zum Bewußtsein ge 
kommen sein wird, dürfte die Ausbildung der 
Zivil- und Militärbeamten eine gewisse Umbildung 
erfahren. Man wird dann mehr Gewicht als bisher 
darauf legen, daß die Militärbeamten die Zivil 
verwaltung praktisch und theoretisch kennen 
lernen, sowie daß die Verwaltungsbeamten genauer 
als bisher über die Organisation der Armee im 
Kriegsfall orientiert sind. Gemeinsame Uebungen 
auf dem Verwaltungsgebiet werden wohl nicht 
ausbleiben und es wäre gar nicht so unmöglich, 
daß einmal eine Art von Verwaltungsmanöver 
abgehalten wird, um zu erproben, wie die Zu 
sammenarbeit von Zivil- und Militärverwaltung 
unter kriegsmäßigen Bedingungen vor sich geht. 
Bei den Manövern, wie sie bis jetzt abgehalten 
werden, wird auf dieses Moment relativ wenig 
Gewicht gelegt; vor allem deshalb, weil ja die 
Verwaltungsbehörden nicht kriegsmäßig arbeiten. 
Die Kooperation der Militär- mit der Zivilver 
waltung dürfte auch manche Kraftverschwendung 
beseitigen, die heute vorkommt. Das Zusammen
	        
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