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Interesse der Napoleonischen Herrschaft auch
ohne Handelsweg zu ermöglichen. Sehr bezeich
nend ist in dieser Richtung ein Brief Napoleons
an Bernadotte: «Ich werde Ihnen für 20 Millionen
Francs Kolonialwaren geben, die ich in Hamburg
habe. Sie geben mir für 20 Millionen Francs
Eisen. Sie werden in Schweden für die Ausfuhr
kein Geld haben. Treten Sie die Kolonialwaren
den Kaufleuten ab, die den Zoll zahlen, und Sie
können sich dann des Eisens entledigen. Ich
brauche in Antwerpen Eisen und habe Ueberfluß
an Kolonialwaren.» Das ist der Ton, in dem in
einem Weltkrieg geschrieben wurde und wohl auch
wieder geschrieben würde, wenn es zu einem
solchen kommen sollte.
Man hört zuweilen, daß ein Staat keine
Armee brauche, denn was könne der Sieger tun?
Das was Napoleon getan hat. Hamburg mußte
vom Mai 1813 bis zum Mai 1814 gegen 40 Mil
lionen Mark an Napoleon zahlen. Ein zeitge
nössischer Schriftsteller hat berechnet, daß die
Hamburger in diesem Zeitraum für 5 Millionen
Mark bereits 10.000 Mann hätten auf die Beine
stellen können, d. h. eine Armee, die bei der
Abwehr des Napoleonischen Angriffes wohl in
Betracht gekommen wäre. Wenn ich es auch
nicht für zulässig halte, so leichthin von einer
Versichernng des Handels gegen den Feind durch
Aufwendung von Rüstungsgeldern zu sprechen,
weil der Versicherungsbegriff doch heute schon
eine zu präzise Bedeutung hat, um zu einer so
vagen Analogie verwendet werden zu dürfen, so
zeigt dies vorliegende Beispiel, daß es doch wohl
lohnt, darüber nachzudenken, was für Konsequenzen
militärische Wehrlosigkeit haben kann.
Wie wenig Neutralität hilft, zeigt das Ver
fahren der Engländer während der Napoleonischen
Kriege. Sie befürchteten, Napoleon könne in Däne
mark einfallen. Daraufhin erscheinen sie vor
Kopenhagen, bombardierten, ohne daß ein Krieg
gewesen wäre, die Stadt, nahmen die Flotte weg
und schleppten an Bauholz und anderen Ma
terialien weg, was sie erlangen konnten.
Die Neigung der Menschen, im Kriege Gegen
stände dem Feinde wegzunehmen, ist uralt. Der
Philosoph Aristoteles vertritt auf einer hohen
Kulturstufe die Anschauung, daß die Kriegskunst
eine Form der Erwerbskunst sei, die mit der Jagd
und derLandwirtschaft zu den natürlichen Erwerbs
künsten gehöre. Zu den unnatürlichen rechnete
er, was heute vielen sonderbar erscheinen dürfte,
das Geldgeschäft und den Handel.
Heute beginnt man in der Theorie den Krieg
wieder mehr als früher als Erwerbszweig anzu
sehen. Man darf in dem kriegerischen Verhalten
der Menschen nicht zu rasch an einen konti
nuierlichen Fortschritt glauben. Gerade auf diesem
Gebiet ist ein Auf und Ab die Regel. Wie oft
glaubte man nicht schon, daß die völkerrechtlichen
Bindungen allgemeine Anerkennung gefunden
hätten. Nach dem dreißigjährigen Kriege begann
eine Milderung der Kriegssitten und der politischen
Feindschaften. In den Siebzigerjahren des 18. Jahr
hunderts konnte noch Iselin 1 schreiben, daß nun
das Kriegführen weit milder geworden, und daß
überhaupt, wer die anderen in Ruhe lasse, auch
selbst in Ruhe gelassen werde. «Ludwig XIV. hatte
von seinen Nachbarn alle die Uebel zu befürchten,
welche er ihnen zugefügt hat. Er hat sie auch
nachher zum Teile von ihnen erlitten. Es war also
natürlich, daß in solchen Zeiten, wo ein offen
barer oder verdeckter Haß alle Völker beseelte,
jedes trachten mußte, sich zu verstärken und
andere zu schwächen. Zu Ende des 18. Jahr
hunderts verhalten sich die Sachen ganz anders.
Keine Macht, die ruhig sein will, hat von der
anderen das Geringste mehr zu befürchten. Es
kann also keine mehr mit Gerechtigkeit erobern.»
Wie anders verhält sich das Napoleonische Zeit
alter 2 . «Während der Kriege von 1792 bis 1815
war das Völkerrecht auf das geringste zusammen
geschwunden.»
Ich habe bisher die Wegnahme beweglicher
Güter ins Auge gefaßt. Aber der Sieger kann
auch zur Expropriation von Grundeigentum
schreiten. Der Balkankrieg gibt gleich ein gutes
Beispiel. Die Serben haben in Altserbien Land
parzelliert und verteilen 12 Joch pro Familie an
Leute aus Altserbien, aus dem ehemaligen Reichs
serbien und an Südslaven aus Oesterreich-Ungarn.
Der Zehent, der früher den türkischen Vakufs zu
geflossen ist, wurde abgeschafft; den Serben
wurde ein Vorkaufsrecht eingeräumt, wenn tür
kische Vakufsgüter veräußert werden sollten.
Kurzum wir haben einen Fall von Bevorzugung
der eigenen Bürger vor uns, der sich im un
mittelbaren Erwerb von Grundstücken äußert.
Wir sehen so Methoden auftauchen, welche im
alten Rom gang und gäbe waren. Diese Ver
teilung von Grundbesitz schwebte vielen Serben
bereits vor, als der Balkankrieg begann.
Wie ich schon erwähnt habe, ist dies Vor
gehen aber nicht etwas Isoliertes. Wir sahen, daß
in Preußen polnische Güter zugunsten der
Deutschen expropriiert wurden. Was heute die
Deutschen den Polen tun, können morgen die
siegreichen Russen den Deutschen tun. Die Russen
suchen bei den Ruthenen Ostgaliziens den Glauben
wach zu halten, daß im Falle einer russischen
Invasion eine Expropriation der Polen und
Juden zugunsten der Ruthenen erfolgen werde.
Aber die Parzellierung liegt heute überhaupt
in der Luft, sie ist für viele ein soziales
Postulat und nicht nur für eine kleine radi
kale Gruppe. Es gibt heute sehr konservativ ge
sinnte Leute, welche der Ansicht sind, den hun
gernden Massen Galiziens könne nur durch eine
teilweise Parzellierung des Großgrundbesitzes ge
holfen werden. Nur so könne man diese Menschen
wirklich an das Vaterland fesseln. Es gibt bereits
Großgrundbesitzer, welche es für eine patriotische
1 J. Iselin, Träume eines Menschenfreundes. Orig.
Baseo 1776. (Vorliegendes nach dem Nachdruck 1784,
Carlsruhe.) 11. Bd. S. 221.
2 Peez und Dehn. Englands Vorherrschaft. I. Bd,
Leipzig 1912. S. 170.