Full text: Einführung in die Kriegswirtschaftslehre

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4. Kriegsentschädigung. 
Ehe ich die flüchtige Skizze schließe, möchte 
ich noch auf die Bedeutung von Kriegsentschädi 
gungen hinweisen. ln der Gegenwart bestehen 
Kriegsentschädigungen im allgemeinen aus Geld 
oder Anweisungen auf Geld: Devisen, Schecks 
usw. Sie kann in verschiedener Weise Verwen 
dung finden. Man kann einen Teil als Schatz 
hinterlegen, das taten z. B. die Deutschen nach 
dem Kriege mit Frankreich und die Japaner nach 
dem Kriege mit China. Ein Teil wird aber wohl 
immer bald in die Zirkulation des eigenen Landes 
übergehen. Es strömen viele Auslandsdevisen 
herein und das Ergebnis kann eine Senkung der 
Devisenkurse im Inlande sein, während die eigenen 
Devisen im Auslande steigen. Das heißt, der Im 
port ausländischer Waren wird sehr erleichtert, 
der Export sehr erschwert. Dies kann der In 
dustrie des beteiligten Staates zum Vorteil, der 
eigenen zum Nachteil gereichen. 
Eine der wichtigsten Wirkungen der Kriegs 
entschädigungen besteht darin, daß noch lange 
ehe die Anleihe in die Zirkulation gelangt ist, 
alle Preise steigen. Dies konnte man nach 1870/71 
deutlich beobachten. Diese Preissteigerungen be 
wirken, daß die Industrie unter schweren Be 
lastungen die Produktion beginnt und daß da 
durch Krisen heraufbeschworen werden können, 
die auf verringerte Reingewinne bei starker 
Schuldenbelastung zurückzugehen pflegen. Die Krise 
von 1873 wütete in Deutschland wohl deshalb 
besonders stark, weil die Kriegsentschädigung zu 
Preissteigerungen und zu riskanten Geschäften 
Veranlassung gab. Wir sehen, daß eine Kriegs 
entschädigung eine recht riskante Sache ist. 
Wir begreifen, daß eine in Geld be 
stehende Kriegsentschädigung die Verhältnisse 
der Staaten zueinander immer nur in einem 
mäßigen Grade zu beeinflussen vermag. Man 
darf nicht annehmen, daß jedes Quantum an 
Kriegsentschädigung mehr, auch einen entspre 
chenden Vorteil für den Sieger und einen ent 
sprechenden Nachteil für den Besiegten bedeute. 
In Frankreich bewirkte die Entziehung der großen 
Geldmassen, daß, wo es irgend anging, Zeichen 
geld in Verwendung genommen wurde. Ueberdies 
wirkte die Kriegsentschädigung teilweise wie ein 
Schutzzoll. Die französische Industrie wurde zu 
erneuter Tätigkeit angeregt. Auch in Japan trug 
die chinesische Kriegsentschädigung zur Ent 
stehung der Krise bei. 
Ganz anders ist die Wirkung, wenn die 
Kriegsentschädigung sich auf viele Jahre erstreckt, 
wenn sie in Form von Aktien oder Obligationen 
gegeben wird. Noch schwerer ist die Wirkung, 
wenn nicht Geld, sondern Waren als Kriegsent 
schädigung weggenommen werden oder Produk 
tionsstätten, Kohlengruben, Fabriken und der 
gleichen. 
Wenn ich die Gefahren einer Kriegsentschä 
digung besonders hervorhebe, so geschieht dies 
deshalb, weil man dieselben leicht übersieht. Ich 
möchte abes nicht unerwähnt lassen, daß selbst 
die Krise nicht all das zerstört, was vor ihr ent 
standen ist. Und der Aufschwung Deutschlands 
nach dem Deutsch-französischen Krieg, der er 
halten blieb, geht wohl zum Teil auf die Kriegs 
entschädigung zurück. Vor allem muß man sich 
über eins klar sein. Wenn in einer Krise 
200 Fabriken zugrunde gehen, so muß das 
nicht bedeuten, daß diese Fabriken ihren Be 
trieb einstellen und verfallen. Es kann nur heißen, 
daß sie den Eigentümer wechseln. Der erste 
Eigentümer macht Konkurs, der nächste über 
nimmt die Fabrik zu einem geringeren Preis und 
kann nun viel leichter rentabel produzieren. 
Jedenfalls sehen wir aber, daß eingehende 
Forschungen erforderlich sind, um jene Form der 
Kriegsentschädigung ausfindig zu machen, die 
dem Sieger den größten Vorteil bringt. Tribute, 
die früher allgemein verbreitet waren, widerspre 
chen dem heute so stark entwickelten Souveräni 
tätsgefühl. Es fragt sich aber, ob es nicht Sieger 
geben kann, die dies Gefühl nicht weiter 
schonen. Jedenfalls sehen wir auch hier, daß der 
Wissenschaft und der Praxis viel zu tun übrig 
bleibt. 
Schlußbemerkungen. 
Ich hoffe, daß es mir gelungen ist, zu zeigen, 
welcher Reichtum von Problemen sich eröffnet, 
wenn man daran geht, die Kriegswirtschaftslehre 
als Ganzes ins Auge zu fassen. Ich habe lieber 
manche Probleme etwas ausführlicher behandelt, 
um zu zeigen, wie man ihnen zu Leibe rücken 
kann, statt allzuviele nur zu erwähnen. Freilich 
von einer ausreichenden Darstellung sind diese 
Ausführungen weit entfernt, dazu mangelte der 
Raum. 
Es handelte sich mir auch mehr darum hervor 
zuheben, wie alles untereinander zusammenhängt 
und darauf hinzuweisen daß man einzelne Fragen 
der Kriegswirtschaftslehre nur schwer behandeln 
kann, wenn man nicht das ganze kriegswirt 
schaftliche System immer wieder ins Auge faßt. 
Mit einer Stellungnahme zum Problem des Krie 
ges und Friedens hat die Kriegswirtschaftslehre 
zunächst nichts zu tun. Das möchte ich am 
Schluß nochmals mit allem Nachdruck wieder 
holen. Sie untersucht Zusammenhänge, sie sucht 
aber nicht Stimmung zu machen. Nach Feststellung 
der Tatbestände bleibt dem Kriegsfreund die Mög 
lichkeit zu sagen: aus diesen Ausführungen ent 
nehme ich, daß es auf Grund meiner Anschauungen 
am besten ist, von Zeit zu Zeit einen Krieg zu 
führen oder mindestens immer zum Kriege zu 
rüsten, während der Friedensfreund sagen kann: 
aus den Ergebnissen der Kriegswirtschaftslehre 
ergibt sich mir die Notwendigkeit, das Kriegführen 
besonders heftig zu bekämpfen. 
Ich habe aber vor allem auch zu zeigen ge 
sucht, daß es sich um überaus komplizierte Zu 
sammenhänge handelt und es überhaupt ein 
Wagnis ist, sich ohne eingehende Untersuchungen 
und sehr reifliche Ueberlegungen für irgend einen 
Standpunkt zu entscheiden. Bei jedem einzelnen 
Problem konnte ich meist auf wesentliche und 
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