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beiterstand diese hohe ihm zugefallene weltgeschichtliche Ausgabe verwirk
lichen könne, müsse er „eine ganz neue Haltung annehmen. Die hohe welt
geschichtliche Ehre dieser Bestimmung muß alle Ihre Gedanken in Anspruch
nehmen. Es ziemen Ihnen nicht mehr die Laster der Unterdrückten und die
müßigen Zerstreuungen der Gedankenlosen, noch selbst der harmlose Leicht
sinn der Unbedeutenden . . . Der hohe sittliche Ernst dieses Gedanken ist es,
der sich mit einer verzehrenden Ausschließlichkeit Ihres Geistes bemächtigen,
Ihr Gemüt erfüllen und Ihr gesamtes Leben als ein seiner würdiges, ihm
angemessenes und immer auf ihn bezogenes gestalten muß. Sie sind der
Fels, auf welcher die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll." (A. a. O.,
S. 198.) Auch in der heutigen wildbewegten Zeit und vielleicht gerade in
ihr sind diese Mahnungen und Beschwörungen höchst angezeigt.
Die Herrschaft könne -aber der Arbeiterstand nur durchsetzen durch Er
langung der politischen Macht, zu dem Zwecke müsse die deutsche Ar
beiterschaft, so -beginnt Lafsalle sein berühmtes „offenes Antwortschreiben an
das Zentralkomitee zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeiterver
eins zu Leipzig" eine eigene politische Partei bilden. Den schärfsten
Kampf predigt er gegen die damals im preußischen Landtage herrschende
Fortschrittspartei, die er als Vertreter eines manchesterlichen „Nachtwächter
staates", der lediglich für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen habe,
brandmarkt. Bemerkenswert ist seine Anerkennung der staatsmännischen
Fähigkeiten Bismarcks. „Und wenn wir Flintenschüsse mit Herrn
v. Bismarck wechselten, so würde die Gerechtigkeit erfordern, noch während
der Salve einzugestehen: er ist ein Mann, jene aber (die Fortschrittler) sind
— alte Weiber." („Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeord-neten-
tag", Band I, S. 137.) Die Eroberung des allgemeinen gleichen und direkten
Wahlrechts sei für die Erlangung der politischen Macht unerläßliche Vor
aussetzung.
Der Kampf gegen die Fortschrittspartei verband die beiden großen
Männer: Lassalle und Bismarck. Er führte sie -^uch zu verschiedenen persön
lichen Besprechungen in den Jahren 1863 und 1864, über die sich ebenso wie
über die ganze Persönlichkeit Lassalles der Fürstreichskanzler in seiner
Reichstagsrede vom 17. September 187-8 eingehend ausließ. Er erklärt ihn
hierin als einen der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit de
nen er je verkehrt habe, „einen Mann, der ehrgeizig im großen Stil war,
durchaus nicht Republikaner, er hatte eine sehr ausgeprägte nationale und
monarchische Gesinnung. Seine Idee, der er zustrebte, war das deutsche
Kaisertum und darin hatten wir einen Berührungspunkt ... ob das deut
sche Kaisertum gerade mit der Dynastie Hohenzollern oder mit der Dynastie
Lassalle abschließen sollte, -das war ihm vielleicht 3X06x161^0^; aber
monarchisch war seine Gesinnung durch und durch." Die Gewährung des all
gemeinen gleichen und geheimen Reichstagswahlrechts aber im Jahre 1869
läßt sich schwerlich auf Einflüsse und Gedanken-gänge Lassalles zurückführen.
Richt um der Arbeiterklasse zur politischen Herrschaft im Staate zu ver
helfen, führte Bismarck es ein, sondern zur Festigung des nationalen Ge
dankens. In einem Gespräch mit dem Franzosen Henry Billard äußerte
Bismarck einmal, er habe das allgemeine Wahlrecht für unumgänglich ge