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halten als „Zement bei der Erbauung des Reichsgebäudes und als Mittel
zur Unterdrückung der traditionell-zentrifugalen Tendenzen einiger unser
kleinen Potentaten und Staaten."
So bahnbrechend und geistvoll Lassalles Leistungen auf dem Gebiete der
Philosophie, der Rechtsphilosophie und des positiven Rechts waren, ein so
wenig origineller Denker war er dagegen als nationalökonomischer und so
zialpolitischer Schriftsteller. Hier war er durchaus Eklektiker. „Namentlich
durch Marx, Engel, Rodbertus einerseits, die französischen Sozialisten ander
seits beeinflußt, geben seine Theorien über Zins, Lohn, Rente, Wert Usw.
Gedanken wieder, die vorher schon in besserer und ausgereifterer Weise von
anderen ausgesprochen wurden." (Diehl a. a. O. A. 402.) Die Grundlage
aller wirtschaftlichen und sozialen Uebel erblickt Lassalle in dem sog. „eher
nen Lohngesetz". Ganz zu Unrecht sieht heute noch weithin die öffentliche
Tagesmeinung in Lassalle den wissenschaftlichen Entdecker dieses angeblichen
Gesetzes. Bereits geraume Zeit vor ihm hatten es der französische Reform
minister Ludwig des XVI. Tdrgot Und der englische Nationalökonom
David Ricardo (4773—1825) ganz ähnlich formuliert. „Das' eherne
ökonomische Gesetz, „welches unter den heutigen Verhältnissen unter der Herr
schaft von Angebot und Nachfrage nach Arbeit den Arbeitslohn bestimmt, ist
dieses: daß der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen
Lebensunterhalt reduziert bleibt, der in einem Volke gewohnheitsmäßig zur
Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich ist. Dies ist der
Punkt, um welchen der wirkliche Tagelohn in Pendelschwingungen jederzeit
herum graviert, ohne sich jemals lange weder über denselben erheben noch
unter denselben hinunterfailen zu können. Es kann sich nicht dauernd über
diesen Durchschnitt erheben, denn sonst entstünde durch die leichte, bessere
Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und somit des
Angebots von Händen, welche den Arbeitslohn wieder auf und unter seinen
früheren Stand herabdrücken würde. Der Arbeitslohn kann auch nicht dau
ernd tief unter diesen notwendigen Lebensunterhalt fallen, denn dann ent
stehen Auswanderung, Ehelosigkeit, Enthaltung von der Kindererzeugüng
und endlich eine durch Elend erzeugte Verminderung der Arbeiterzahl, welche
somit das Angebot von ArbeiterhäNden noch verringert und den Arbeitslohn
daher wieder auf den früheren Stand zurückführt." (Offenes Antwortschrei
ben, S. 15/16.1
Eine lange Zeit galt dieses sog. „Gesetz" in der deutschen Sozialdemo
kratie als unerläßliche Wahrheit und dementsprechend als Hauptagitations
mittel, bis es Wilhelm Liebknecht selber auf dem Erfurter Kongreß
im Jahre 1801 als unhaltbar anerkennen mußte, seitdem ist es aus dem
neuen damals beschlossenen Parteiprogramm restlos ausgemerzt worden. Es
ist in der Tat völlig unhaltbar, wie heute kaum noch bezweifelt wird, Lohn
erhöhungen selbst recht erhebliche brauchen durchaus nicht mit Notwendigkeit
zu einer Vermehrung der Ehen und gu einer Steigerung der Kinderzahl zu
führen. Im Gegenteil ist es eine der erfreulichsten Kulturerscheinungen der
letzten Jahrzehnte, daß sie vielfach, ja durchaus überwiegend die großen Ar
beitermassen zu einer besseren Bekleidung, zu besseren gesünderen Wohnun
gen und deren behaglicherer Einrichtung und zu einer Steigerung ihres
geistigen Gehaltes geführt haben. Der Standard oi life hat sich so in den