Full text: Wissenschaftlicher Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Bolschewismus

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drei letzten Jahrzehnten vor dem Kriege — von den gewaltigen Lohnsteige 
rungen während des Weltkrieges soll gar nicht geredet werden — ungemein 
gehoben. Einzelheiten werden bei der Besprechung der sog. „Ver 
elendungstheorie" des Karl Marx noch später von uns beigebracht 
werden. Haben die Arbeiterlöhne aber einmal eine bestimmte Höhe erklom 
men, so hält der Arbeiter mit einer ganz außerordentlichen Zähigkeit an 
ihnen fest. Ehrgefühl und Klassengeist verlangen gebieterisch ihre Fest 
haltung, sie und die ungemein machtvollen, gewaltigen Organisationen der 
Arbeiter (Gewerkschaften) stemmen sich fast stets erfolgreich ihrer Herab 
setzung entgegen. Diese Imponderabilien spielen eine ganz außerordentliche, 
von Lassalle durchaus verkannte Rolle. Mit Recht schreibt Beatrice Webb 
(Theorie und Praxis der englischen Gewerkvereine, Band II, S. 291): „Man 
könnte einen englischen Maschinenbauer nicht leicht überreden, für wöchent 
lich 13 Schilling in seinem Gewerbe Arbeit zu übernehmen, wenn das An 
gebot von Maschinenbauern auch noch so groß wäre. Ehe er seiner Selbst 
achtung Gewalt antäte, würde er lieber als Tagelöhner arbeiten." Das 
gleiche Urteil läßt sich über die Psyche des deutschen geschulten Arbeiters 
fällen! An die Stelle des Lassalleschen „ehernen Lohngesetzes" trat es völlig 
verdrängend die Lehre des Karl Marx von der „industriellen ^Reservearmee". 
Doch davon später! 
Nur ein Mittel kann dem Arbeiter helfen, jenes eherne und grausame 
Gesetz zu beseitigen, nämlich: Den Arbeiterstand zu seinem eigenen Unter 
nehmer zu machen. „Wenn der Arbeiterstand sein eigener Unternehmer ist, 
so fällt jene Scheidung zwischen Arbeiterlohn und Unternehmergewinn und 
mit ihr der bloße Arbeitslohn überhaupt fort, und an feine Stelle tritt als 
Vergeltung der Arbeit, der Arbeitsertrag." Diese Aushebung des Unter 
nehmergewinns in der „friedlichsten, legalsten und einfachsten Weise durch 
freiwillige Assoziation des Arbeiterstandes als seines eigenen Unternehmers, 
sei die einzige nicht illusionäre Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage. 
Mit a. >W. die Bildung von Arbeiterproduktivassoziationen 
ist das Heilmittel. Zür Beschaffung der nötigen Mittel, der „Riesenkapita 
lien" zum Erwerb der Eisenbahnen, Maschinenfabriken, Schiffsbauwerkstät- 
ten, Baumwollspinnereien, Kattunfabriken usw. müsse der .Gegenwartsstaat 
gewaltige Kredite bereit stellen. Düs sei keine Beseitigung, sondern nur 
eine Ergänzung der unvermeidlichen Selbsthilfe. „Und ebensowenig lassen 
sie sich durch das Geschrei derer irre führen ur<0 täuschen, die hier etwa gar 
von Sozialismus oder Kommunismus sprechen und mit derlei billigen Re 
dens ntett dieser ihrer Forderung entgegentreten wollen. Sondern seien sie 
von solchen fest überzeugt, daß sie sie nur täuschen wollen oder aber selbst 
nicht wissen, was sie sprechen. Nichts ist weiter entfernt von dem sogenann 
ten Sozialismus oder Kommunismus als diese Forderung, bei welcher die 
arbeitenden Klassen ganz wie heute. ihre individuelle Freiheit, individuelle 
Lebensführung und individuelle Arbeitsvergütung beibehalten und zu dem 
Staate in keiner anderen Beziehung stehen, als daß ihnen durch ihn das 
erforderliche Kapital respektive der Kredit zu ihrer Assoziation vermittelt 
wird." (Offenes Antwortschreiben a. a. O., Band I, S. 26.) 
Aus den im letzten Artikel angeführten Gründen steht Lassalle auch — 
worauf Sombart a. a. O. S. 238 flg. mit Recht aufmerksam macht — dem
	        
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