Full text: Ernährungswirtschaftliche Gegenwartsprobleme in Österreich

Aber angenommen selbst, alle, diese Erwägungen seien irrig 
und die Staatsregierung entschlösse sich, die öffentliche staatliche Bewirt 
schaftung sogleich restlos aufzuheben. ES ist wohl auch den Anhänger» 
der freien Wirtschaft nicht unbekannt, daß die Republik Österreich 
aus verschiedenen Teile», den Ländern, besteht, deren Zusammen-' 
gehorigkeit schon im alten Österreich Probleme darstellte, die im neuen 
Österreich nicht leichter geworden sind. Die Ernährnngsfürsorge war 
(soweit nicht gewerbe- und »larktpolizeiliche sanitäre Vorschriften in 
Betracht kommen) früher überhaupt kein Gegenstand der öffentlichen 
Verwaltung. Also ein neues Gebiet, in Bein sich die beliebten Koni- 
petenzkonstikte schrankenlos ausleben konnten und Lösungsvorschläge 
zeitigten, die ihre Pole auf der einen Seite in dem Rufe nach staat 
licher Ernährungsdiktatur*), auf der anderen Seite in dem Rufe nach 
uneingeschränkter Autonomie, die ich einmal als „Verdvrfnng" der 
ErnährungsWirtschaft bezeichnet habe, finden. Wort und Begriff 
„Diktatur" dürften heute wohl wenig Anklang finden, es wäre denn, 
daß eine solche von einem Amerikaner geleitet würde — nemo Pro- 
pheta in patria. Wir stehen also derzeit auf dem anderen Pole: Der 
Länder-, Bezirks- und Gemeindeernährungswirtschaft. 
Wenn Koerber in seinen „Studien zur Reform der inneren Ver 
waltung" von den früheren Landesausschüssen sagt, daß die eigen 
tümliche Stellung dieser Organe, die ans einer legislativen Körperschaft 
mit ausgeprägtem politischen . Charakter hervorgegangen sind, eine 
ersprießliche Tätigkeit auf dem Gebiete der Verwaltung erschwert, so 
trifft dies gewissermaßen auch für die heutigen Landesregierungen zu, 
die, von der politischen Landesversammlung gewählt, zugleich als 
staatliche Behörden fungieren sollen, demnach ein Gemisch von Legis 
lative und Administrative darstellen, das allen VerwaltungSgrundfätzen 
widerspricht. Derart sind sie in der steten Gefahr, sich mit der Staats 
regierung oder mit der Körperschaft, von der sie gewählt sind, in 
Widerspruch zu setzen. 
, Wirkliche Ordnung wird erst die neue Verfassung bieten können, 
die die Kompetenzen abgrenzt. Bei der heutigen Verfassung, welche die 
sogenannten landesfürstlichen staatlichen Behörde» und die autonomen 
*) Es ist nicht uninteressant, daß die Ruse nach einer Ernährungsdiktatur 
während des Krieges am stärksten in den Alpenländern laut wurden, die sich 
durch, die Ungeberdigkeiten der böhmischen und galizischen Statthalterelen benach 
teiligt fühlten. 
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