3
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Worüber icli in dieser Stunde zu Ihnen sprechen darf, ist ein Problem.
Das möchte ich vorausschicken. Es handelt sich nicht um Dinge, die unter
allen Umständen als fest begründet betrachtet werden dürfen, sondern es ist
ein Versuch, einmal aus der Vergangenheit und Gegenwart heraus einen Blick
zu wagen in die Zukunft der Weltwirtschaft und des Weltverkehrs. Möglich,
daß dieser Blick irrt; niemand von uns vermag die Zukunft mit völliger Sicher
heit zu erkennen. Dennoch wird es nicht ohne einen gewissen Reiz sein,
diese Dinge einmal genauer zu betrachten und nachzuforschen, ob man aus
der tatsächlich feststellbaren bisherigen Entwicklung der Weltwirtschaft für
die Zukunft eine Tendenz nach dieser oder jener Richtung erkennen kann.
Gemeinschaften, die ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse, die Gewinnung von
Nahrungs- und Genußmitteln, Rohstoffbeschaffung und Verarbeitung, Ein- und
Austausch von Fertigwaren, nach einheitlichen Gesichtspunkten befriedigen, be
stehen, solange es Menschen und Staaten gibt. Die Gebiete dieser Wirtschafts
reiche fallen zwar in der Regel mit den politischen Räumen der Staaten zu
sammen, brauchen es aber, wie wir sehen werden, nicht unbedingt. Von den
Satzungen der Wirtschaftsreiche wissen wir meist nicht viel, weil sie nur in
seltenen Ausnahmefällen aufgezeichnet wurden. Vom Chaos zu festgefügter
Organisation, von isolierter Verborgenheit zum Weltganzen führt auch in den
Wirtschaftsreichen der dornenvolle Weg der Menschheitsentwicklung.
Der primitive Staat entstand auf der Grundlage der Blutsbande. Ethnische
und religiöse Bindungen waren für ihn entscheidend, nicht wirtschaftliche. Seine
einzelnen Keimzellen, die Familien und Sippen, stellten sich das Wenige, was
zu ihrer Wirtschaftsführung gehörte, zunächst selbst her. Das Familienober
haupt fertigte sich Waffen und Geräte, baute in Gemeinschaft mit seinen An
gehörigen die Hütte, verteilte die Beschaffung der Nahrungsmittel auf die Män
ner. Weiber und Kinder seiner Horde. Ein solcher primitiver Stammesstaat,
wie ich ihn z. B. bei meinen Wakindiga-Forschungen im Herzen Deutsch-Ost
afrikas 1911 kennen lernte, ist ein Wirtschaftsreich mit vollstän
diger Selbstversorgung (Autarkie) nach innen und außen. Man lebt
ausschließlich von den Gaben an Nahrungs- und Rohstoffen, die der Stammes-
raum darbietet; jede Familie befriedigt ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse selbst,
es gibt keinerlei Differenzierung nach Berufen, keinen Innenhandel und erst
recht natürlich keinen Außenhandel. — Die Stufe der Menschheitsentwick
lung, in der das Erdall lediglich von einer Unzahl derartiger kleiner, abge
schlossener, autarkischer Wirtschaftsreiche erfüllt war, liegt lange hinter uns.
Wenn wir in der Gegenwart hier und da noch einmal auf ein solches stoßen,
so handelt es sich um eir. Ueberbleibsel, das in unsere Zeit hineinragt wie die
vorsintflutlichen Beutel- und Kloakentiere Australiens in die Zeit der plazen-
talen Raubtiere.
In dem Maße, in welchem sich innerhalb eines solchen primitiven Wirt
schaftsreiches Zivilisation und Kultur entwickeln und der an Seßhaftigkeit ge
bundene Ackerbau fortschreitet, entstehen neue Wirtschaftsbedürfnisse, die die
einzelnen Familien bald nicht mehr selbst befriedigen können. Das Wirtschafts
reich als Ganzes bewahrt zwar seinen autarkischen Charakter, die Selbst
versorgung der Familien aber wird a u f g e h o b e n. Es entstehen neben
den der Nahrungsbeschaffung dienenden Berufen verschiedene Gewerbe
(Schmiederei, Töpferei u. a, m.), und im Gefolge davon entwickelt sich ein In
nenhandel. Sehr wahrscheinlich liegen die Wurzeln dieser Entwicklung im
religiösen Leben. Je feiner ausgebildet der Kultus wurde, desto mehr ergab