186 Vierter Abschnitt. Konjunkturprognose und Konjunkturpolitik.
Es handelt sich hier um ein Mittel, bestimmten ungünstigen Wir
kungen der Depression zu entgehen, ein Mittel, welches der Einzel-
untemehmung im allgemeinen wohl verschlossen ist. Damit hängt
es dann auch wieder zusammen, daß uns berichtet wird, daß bei den
Aktiengesellschaften dieser Industrie in dieser Periode des Nieder
ganges relativ wenig Konkurse vorgekommen sind. Auch sonst
treten ja bei Aktiengesellschaften Konkurse relativ selten auf, weil
eben hier eine Sanierung der Gesellschaft unter Heranziehung der
Aktionäre möglich ist.
Von dieser Möglichkeit hat man während der Depression zu
Beginn des Jahrhunderts gerade auch in der Textilindustrie, welcher
es ja damals besonders schlecht ging, einen sehr ausgiebigen Gebrauch
gemacht. Während von 46 Kammgarnspinnereien, welche die Form
einer Aktiengesellschaft hatten, im Jahre 1900 nur sieben einen Ge
winn in der Höhe von 2,125 Millionen Mark erzielten, betrug bei
den übrigen 39 Gesellschaften der Verlust in diesem Jahre 25,929
Millionen Mark, denen nur eine Reserve in der Gesamthöhe von
13,299 Millionen Mark gegenüber stand. Trotz dieser so überaus
ungünstigen Verhältnisse sind aus Anlaß dieser Krise bei diesen
Gesellschaften nur zwei Zusammenbrüche erfolgt. Bei diesen 39 Ge
sellschaften sind eben in den Jahren 1900 und 1901 bei einem Ge-
samtaktienkapitel von 66,18 Millionen Mark, Herabsetzungen, Kapital
zusammenlegungen, oder Nachzahlungen in der Höhe von 11,792
Millionen Mark durchgeführt worden 1 ).
Dieses Beispiel zeigt also, in welcher Weise sich die
Aktiengesellschaft ganz bestimmter Mittel bedienen kann, um in
den Zeiten einer Depression eintretende Verluste auf breite
Kreise abzuwälzen, ein Verfahren, das der Einzelunternehmung nicht
zu Gebote steht.
Das Dargelegte möge genügen, um zu zeigen, wie ganz ver
schieden sich die Lage und das geschäftliche Vorgehen der ein
zelnen Industriezweige und Unternehmungen im Wandel der Kon
junktur gestaltet, welch verschiedene Politik sie verfolgen, um dabei
ihre geschäftlichen Ziele möglichst vollkommen zu erreichen. Daß
es wirtschaftlich und sozial für den Gang der Volkswirtschaft,
für die Gesamtheit, von der allergrößten Bedeutung ist, welche Wege
hierbei eingeschlagen werden, bedarf keiner weiteren Begründung.
Es sei hier nur nochmals wiederholt, was schon oben gesagt worden
ist, daß dasjenige, was wir als Volkswirtschaft bezeichnen, nichts
anderes ist, als die Gesamtheit aller dieser Einzelhandlungen wirt-
D Sehr. d. V. f. Sp. Bd. 105. S. 244 ff.