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Dr. M. J. Bonn.
bezweifeln, ob gerade Tripolis der geeignete Platz für eine derartige
Siedlungskolonie ist. Man wird aber- dieser Bewegung, in die sich
Italien mit größtem Enthusiasmus stürzte, nur gerecht werden
können, wenn man sich vergegenwärtigt, «daß es in erster Linie ein
Imperialismus zur würdigen Unterbringung des aus den untersten
Klassen bestehenden Bevölkerungsplus ist».
Die Stimmungen und Strömungen, die Italien beeinflußt haben, sind
in Deutschland nicht unbekannt. Sie haben in der Zeit, als Deutsch
land noch ein Auswanderungsland war, zu den stärksten Kräften ge
hört, die die deutsche Kolonialpolitik in den Fluß brachten. Sie sind
auch heute, obgleich Deutschland längst ein Einwanderungsland ge
worden ist, nicht verschwunden. Gelegentlich der Marokkokrise hat
in manchen Kreisen eine Stimmung geherrscht, die der italienischen
durchaus vergleichbar war. Sie forderte eine Aufteilung Marokkos,
bei der Deutschland in den Besitz des Susgebiets kommen sollte.
Sie hoffte dadurch Ländereien zu gewinnen, die für eine deutsche
Massensiedlung geeignet wären. Gibt man solchen Anschauungen
die Bezeichnung «Imperialismus», so müßte man den Imperialismus
als eine Bewegung bestimmen, die neue, wenn möglich menschen
leere Länder in überseeischen Gebieten zu gewinnen trachtet, um
sie mit Angehörigen des erobernden Volkes zu besiedeln. Je geringer
die Zahl der vorhandenen Eingeborenenbevölkerung ist, je schneller
diese vor den Einwanderern zurückweicht oder durch Berührung
mit ihnen abstirbt, desto besser wäre es. Man sucht weder ihre
Dienste, noch die Erzeugnisse ihres Fleißes, sondern man sucht Heim
stätten für Auswanderer, Gebiete, in denen außerhalb der Grenzen
des sie entsendenden Mutterlandes Tochtervölker heranwachsen
können. Diese Tochtervölker sollen das verjüngte Ebenbild des hei
mischen Volkstums darstellen und seine nationalen Eigenschaften in
ungetrübter Reinheit forterhalten und fortpflanzen. Wie es die Be
gründer Neuseelands aussprachen, war ihr «Zweck, die Verpflan
zung der englischen Gesellschaft, unter Beibehaltung des richtigen
Verhältnisses ihrer verschiedenen Schichten; unser Recht, unsere
gewohnte Umgebung, unsere Gepflogenheiten, unsere Sitten und
Empfindungen — kurz alles Englische bis auf den Boden wollen wir
mitbringen. Wir wollen die Grundlagen der Kolonie jetzt so legen,
daß in wenigen Generationen Neuseeland der Welt ein Gegenstück
unseres Vaterlandes zeigen wird, an Reichtum und Macht sowohl,