Wir müssen daher auf die Reichsgesetgebung zurückgehen. Da das
Reich aber auf dem Gebiete des Schulwesens gesetzgeberisch nicht zu-
ständig war, so sind die Bestimmungen über die Berufsschule im Ge-
werberecht zu suchen. Kern und Angelpunkt aller Bestimmungen ist
die Bundesgewerbeordnung vom Jahre 1869. g 106 Abs. 2 sagt:
„Durch Ortsstatut können Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge, sofern sie
das 18. Lebensjahr nicht überschritten haben, oder einzelne Klassen
derselben zum Besuche einer Fortbildungsschule des Ortes, Arbeits-
und Lehrgängen verpflichtet werden." Diese Verordnung erfuhr im
Laufe der Jahre Erweiterungen durch die Novellen zur Gewerbe-
ordnung vom 15. Juni 1878, 1. Juni 1891, 30. Juni 1900, 27. De-
zember 1911. Letztere ist besonders wichtig, weil sie der Verwaltungs-
behörde das Recht gab, unter bestimmten Voraussetungen an Stelle
der Gemeinde oder des weiteren Kommunalverbandes die Schulpflicht
einzuführen. Desgleichen schuf sie auch die Möglichkeit, alle unter die
Gewerbeordnung fallenden weiblichen Arbeiter unter 18 Jahren zum
Besuch der Fortbildungsschule heranzuziehen. Zweimal hat dann noch
die Reichsgesetzgebung in allgemeinen Bestimmungen ssich mit der
Regelung der Berufssschulpflicht befaßt. Eine Verordnung des Reichs-
ministeriums für die wirtschaftliche Demobilmachung vom 28. März
1919 verlieh den Gemeinden und weiter Kommunalverbänden die
Befugnis durch statutarische Bestimmung, „Jugendliche Personen, die
seit Ostern 1918 die Volksschule verlassen haben und keine weiter-
gehende wissenschaftliche und künstlerische Ausbildung genießen“,
zum Besuche der Fortbildungsschule ihres Wohnortes zu verpflichten.
Die zweite Bestimmung befindet sich im Artikel 145 der Weimarer
Reichsverfassung. Sie sieht die Fortbildungsschulpflicht bis zum voll-
endeten 18. Lebensjahr als Teil der allgemeinen Schulpflicht vor.
Im Jahre 1920 wurde vom Reichsminissterium auf Grund der
Beratungen und Vorschläge der Reichsschulkonferenz ein Reichs-
Berufsschulgesetz ausgearbeitet. Dieses ist aber infolge finanzieller
Bedenken der Länder nicht zur parlamentarischen Beratung gelangt.
So ist für Preußen wenigstens die erwähnte Vorschrift der Reichs-
verfassung noch nicht Wirklichkeit geworden.
Die Pr eußisch e Gesetzgebung lehnt sich an die Reichsgessetz-
gebung an. Der Versuch, im Jahre 1911 für die Gemeinden mit
10 000 und mehr Einwohnern die statutarische durch die gesetzliche
Schulpflicht zu erseen und die Gemeinde zur Errichtung und Unter-
haltung von Berufsschulen zu verpflichten, scheiterte.
. Aufbauend auf der Verordnung des Reichsministers für die wirt-
schaftliche Demobilmachung vom 28. März 1919 kam das Gesetz vom
31. Juli 1923 zustande. In diesem Gesetz sind die Paragraphen 1, 2-
5 und 17 für die Berufsschulpflicht der Krüppellehrlinge.
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