§ 4. Die Zerrissenheit der deutschen Verwaltung.
. Müsssen nun schon die beiden Ursachenreihen, die hier nur kurz skizziert sind,
nämlich die Bielgestaltigteit des modernen Wirtschastslebens und die in der
feudalen Eigenart begründete Zerrissenheit der altpreußischen Verwaltung eine
außerordentliche Schwerfälligkeit unseres Verwaltungssystems herbeiführen, so
ist durch die staatsrechtliche Entwicklung der Nachtriegszeit noch eine weitere
Komplikation hinzugetreten. Die Bismarcksche Reichsverfassung verteilte die
Regierungsfunktionen zwischen Reich und Bundesstaaten in der Weise, daß das
Rei ch sich im wesentlichen auf die Gesetzge bung beschränkte, die Ver-
waltung aber den Bundesstaaten überließ. Hier ist nun durch die
Weimarer Reichsverfassuung und die sich daran anschließende Entwicklung
ein starker Wantel eingetreten. Das Reich hat jetzt auf zahlreichen
Gebieten auch die Verwaltung an sich gezogen und sich einen Unterbau
durch Errichtung eigener Mittel- und Unterbehörden geschaffen. Es
genügt ein Hinweis auf die Entwicklung der Verkehrs-, Steuer-, Militär-,
und Alrbeitsverwaltung. Hatten wir früher in den Unter- und Mitel-
stufen nur Kommunal- und Staatsbehörden, so sind jetzt überall Reichs-
behörden hinzugetreten. Namentlich in der Lotkalverwaltung, in der
die Fachgebiete der Verwattung infolge der Verbundenheit der örtlichen
Gemeinschaft ineinanderfließen und daher das Moment der räumlichen Zu-
sammengehörigkeit gegenüber der Aufteilung nach Materien durchaus in den
Vordergrund tritt, wird damit eine Zersplitterung geschaffen, die politisch und
organisatorisch geradezu unheilvoll wirkt. Die Polizeipolitik der Nachkriegszeit,
die in allen großeren Städten die Polizeibehörde von der Kommunalbehörde
getrennt hat, hat diese Zustände noch verschärft. Wenn z. B. früher Kommunal-
verwaltung, Polizeiverwaltung, Steuerverwaltung und Alrbeitsverwaltung
räumlich und bureaumäßig im Rathaus vereinigt waren, so hat man jetzt die
Steuer- und Arbeitsverwaltung auf das Reich, die Polizeiverwaltung auf den
Staat übertragen, so d a ß in d erselb en Gemeinde zu der ur-
sprün glichen kommunalen Lokalbehörde zwei neue Grup-
pen von Lokalbe hörden mit unterschiedlichem staatsrecht-
lichem Träger hinzug etreten sin d. Das Publikum kann sich natür-
lich in der Vielheit dieser Instanzen, deren Wukungskreis an zahlreichen Punkten
ineinanderfließt, nicht zurechtfinden, ist verärgert, wenn es von einer Behörde
zur anderen geschickt wird und läßt seine Mißstimmung gegen die Beamten oder
die Republik oder gegen beides aus.
Der HZustand unserer öffentlichen Verwaltung ist
nichts anderes als eine organisierte Des organisation.
Weder politisch noch organisatorisch noch finanziell kann man die Dinge länger
treiben lassen. Die Gutachter des Dawesplans, die doch gewiß kluge Leule
waren, erklärten sich außerstande, für die Regelung des Finanzausgleichs
zwischen Reich, Ländern und Gemeinden Ratschläge zu erteilen, da die die
Grundlage bildenden Verhältnisse zu verwickelt und zu tief in den historischen
Ueberlieferungen verwurzelt seien. Tatsächlich ist man denn auch im Finanz-
ausgleich bis heute über eine Zwischenlösung nicht hinausgekommen und wird
auch nicht hinauskommen. Der endgültige Finanzausgleich ist in
Wahrheit nicht eine Frage der Finanzen, sondern des
Staatsrechts und wird eine abschließ ende Regelung erst
im Einheitsstaate sind en. Von der Finangseite wird aber des-
halb auch die Bewegung für die Verwaltungsreform ihren stärksten Antriebs-
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