möglich, die Sozialpolitik auszubauen. Die Gewerkschaften
und die Partei nahmen während dieser Zeit einen raschen
Aufschwung, das Bürgertum zitterte vor dem organisierten
Proletariat, und es gelang uns damals, Forderungen durch—
zusetzen, die heute nicht in die Tat umgesetzt werden könnten.
Ein führender Genosse des Auslandes, den ich einmal fragte,
warum ähnliche Gesetze nicht auch im Ausland geschaffen
wurden, erwiderte mir: Wir machen keine Konjunkturgesetze.
Ich will nicht untersuchen, ob dieser Satz richtig ist. Das
eine aber ist sicher: Ebenso wie ein Geschäftsmann, der die
Konjunktur nicht auszunützen versteht, kein guter Geschäfts—
mann ist, so wäre guch der kein guter Sozialpolitiker, der es
nicht verstünde, Machtverhältnisse zum Vorteil der Arbeiter—
klasse auszunützen. (Sehr richtigl) Vom gegenwärtigen Stand
der Sozialpolitik will ich nicht sprechen.
Seitdem die Sozialdemokraten aus der Regierung ge—
schieden sind, ist auf sozialpolitischem Gebiet der alte öster—
reichische Stillstand eingetreten. Seit dieser Zeit wurde nicht
ein einziges Gesetz neu geschaffen, abgesehen von der Novelle
zum Gesetz über die Gewerbeinspektion, die bei meinem
Scheiden aus dem Amte fertig auf meinem Schreibtisch lag
und nur deswegen nicht eingebracht wurde, weil sie mir nicht
gut genug erschien. Man begnügte sich mit der Novellierung
verschiedener Versicherungsgesetze, die sich durch die fort—
schreitende Geldentwertung als unausweichlich erwies.
Es gab noch keine Zeit, in der über die sozialpolitischen
Lasten nicht gejammert wurde. Nicht nur die Unternehmer, son—
dern auch die ganze bürgerliche Presse jammert, die Volkswirt—
schaft könne sich nicht wieder erheben, die sozialen Lasten er—
schlügen die Industrie. Auch die gegenwärtige Regierung hat sich
diesen Standpunkt zu eigen gemacht, die Volkswirtschaft stehe an
der Schneide, noch ein kleines Quentchen Belastung und sie
gehe dem Untergang entgegen.
Man hat ausgerechnet, daß die sogzialpolitischen Lasten
22 Prozent ausmachen. Nun haben wir vor kurzem die Ab—
haltung einer Sitzung im Ministerium für soziale Verwaltung
verlangt, um für unsere so notleidende Industrie, die so
schwere soziale Lasten zu tragen hat, die Herabsetzung des
Zinsfußes für kurzfristige Kredite zu erreichen, und haben
erwartet, daß die Industriellen die Gelegenheit mit Freude
ergreifen und mit uns gegen die Banken vorgehen werden;
aber die Herren vom Schwarzenbergplatz haben sich mit den