I. Lübeck und der Ursprung der Ratsverfassung
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(textliche) Fälschung vor. Die historische Kritik hat aber festzustellen, daß
es sich hier nicht um eine Erschleichung bisher nicht besessener Rechte
handelt, sondern um die Anpassung des inzwischen erreichten tatsächlichen
Rechtszustandes an die starre Form der Privilegienbestätigung; um eine
Umarbeitung des echten, neu zu bestätigenden Privilegs auf den Stand der
Dinge um das Jahr 1225*?).
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Aber auch eine Umarbeitung solcher Art hat man sicher nicht ohne einen
bestimmten Zweck vorgenommen. Als man in Lübeck im Jahre 1225 nach
Vertreibung der Dänen weisen Rat pflegte, „wo se weder quemen an den
keiser, eren rechten heren‘“), da wird im Rate manche besorgte Stimme laut
geworden sein, ob der städtischen Freiheit nicht auch aus diesem Schritte
Gefahren erwachsen könnten. Man hatte sich kräftig an der Abwerfung der
dänischen Herrschaft beteiligt; dabei aber sorgsam darüber gewacht, daß
die Stadt nicht „die Beute des einen oder andern der wider. die Dänen ver-
bündeten Fürsten werden und nur eine Herrschaft gegen die andere ver-
tauschen möchte‘), War man vor dem königlichen Stadtherrn, unter den
man jetzt wieder zu gelangen beabsichtigte, wirklich vor ähnlichen Gefahren
geschützt? Würde die nach mittelalterlichem Brauch naheliegende Be-
stätigung des Barbarossaprivilegs ausreichen? Würden nicht dann die
königlichen Beamten, welche zur Wahrung der Rechte des königlichen Stadt-
herrn ihren Einzug in die Stadt halten würden, leicht ihre Forderungen
weiter spannen können, als es dem Rechtszustande von 1225 gegenüber an-
gebracht gewesen wäre? In dieser schwierigen Lage nahm man zu dem
Mittel seine Zuflucht, das im Mittelalter so oft der Schwächere ergriff, um
sich vor dem Stärkeren zu schützen: man arbeitete das vorhandene echte
Privileg auf den Stand des Jahres 1225 um und ließ dies neue, in Lübeck
hergestellte angebliche Privileg Barbarossas durch des Kaisers Enkel,
Friedrich I[., in feierlichster Form bestätigen,
Bei dem zweiten der beiden verdächtigen Sätze bedarf es kaum eines
besonderen Nachweises, daß man ihn deshalb aus dem geltenden Lübecker
Recht in das umgearbeitete Barbarossaprivileg hinüibergenommen hat, weil
man auch dem neuen königlichen Münzer gegenüber vor einer den städtischen
Interessen, dem Handel und Wandel verderblichen Ausnutzung Seines
Rechts geschützt sein wollte®). Ein Satz über das Prüfungsrecht der Münz-
prägungen durch die bürgerlichen Organe ist vielleicht auch schon für die
echte Urkunde Friedrichs I. zu vermuten; er mag vielleicht gelautet haben:
Potestatem etiam (cives) habeant examinandi denarios monetariorum in
pondere et puritate‘®), War dieser Satz vorhanden, was zweifelhaft bleiben
muß, so ist es nicht ohne Interesse, daß die Neuredaktion des Privilegs im
Rörig, Hansische Beiträge.