220 VII. Großhandel und Großhändler im Lübeck des 14. Jahrhunderts
Zentrum des- gesamten hansischen Wirtschaftsgebietes. Hier vollzog sich
der Umschlag von den russischen Ostwaren und den flandrischen Westwaren,
also vor allem von Rauchware und Wachs auf der einen Seite, flandrischem
Tuch auf der anderen Seite, Hier stand ihm aber auch im Lüneburger Salz,
auf das damals noch ganz Nordosteuropa angewiesen war, aber auch in
größeren Getreidemengen”) jederzeit geeignetes Frachtgut zum Füllen der
Schiffsladungen zur Verfügung. Auf Lübeck zielte endlich der Absatz
Skandinaviens®) an Kupfer, Eisen und Seefischen, der von hier aus in die
anderen Häfen und ins Binnenland verteilt wurde.
Seit dem ausgehenden 13, Jahrhundert läßt es sich nachweisen, daß füh-
rende, bisher auf Wisby oder im Baltikum tätige Kaufleute endgültig ihren
Wohnsitz nach Lübeck zurückverlegen; als bisher in der Literatur bekanntes
Beispiel dieser Art nenne ich die Wisbyer Familie der Plescow, von der schon
im 13., dann aber noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts einzelne
Glieder nach Lübeck zogen, wo die Familie dann zu neuem Ansehen kam’).
Dieses Beispiel steht nun aber durchaus nicht vereinzelt da, wenn sich auch
bei der Dürftigkeit der Quellen manches der Forschung entzieht. Was sich
aber exakt nachweisen läßt, ist die katastrophenartige Krisis, in die zur
selben Zeit die Schicht der alten, auf die Gründungszeit der Stadt zurück-
gehenden Familien gerät. Sie waren vermutlich in der Technik ihres Be-
triebes zurückgeblieben!); und was vielleicht noch verhängnisvoller war,
sie hatten sich einem vorzeitigen Rentnerleben hingegeben. So wurden sie das
Opfer der ungemein erfolgreichen kaufmännischen Oberschicht neuen Stils.
Diese Dinge kann ich hier nur streifen. Als den ersten genialen Typ des neuen
Kaufmanns möchte ich Bertram Mornewech nennen, der 1286 starb. Die
Abhängigkeit der alten Oberschicht von dem Kapitalreichtum seiner Witwe
beleuchtet blitzartig das Verhältnis der Alten und der Neuen zu dem gerade
damals sich vollziehenden wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt*).
Noch eine andere Beobachtung erhärtet die Vermutung, daß es sich bei
dieser Krise wirklich um eine grundlegende Veränderung des kaufmännischen
Betriebes handelte. Sie drückt sich aus in dem ganz anderen Verhältnis der
Alten und der neuen zum Gewandschnitt.
Was ist Gewandschnitt? Es ist zunächst der Verkauf von Tuch an den
Verbraucher, also im kleinen. Im Mittelalter, oder um mich hier gleich vor-
sichtiger auszudrücken, in gewissen Perioden des Mittelalters kam dem
Gewandschnitt eine besondere Bedeutung zu. Das flandrische Qualitätstuch
war das geschätzteste Kaufmannsgut überhaupt. Und es hat gerade in den
norddeutschen Städten eine Zeit gegeben, in der die angesehensten Familien
der Stadt, die Ratsherren selbst, den Gewandschnitt in ihrem kaufmännischen
Betrieb ausgeübt haben. Die neuere Forschung hat diese Tatsache ganz
besonders unterstrichen. Sie hat daraus die Folgerung gezogen, daß. das
Mittelalter einen selbständigen Großhandel nicht gekannt habe. Der eigent-