vorlag, das zwar noch nicht ratifiziert, aber bereits‘ von den
meisten Staaten, so auch von Deutschland, anerkannt worden
ist. Im $ 6 dieses Dekrets heißt es, daß die Zwangsarbeit überall
dort abzuschaffen sei, wo sie zur Sklaverei oder zu sklaverei-
ähnlichen Verhältnissen führt. Was darunter zu verstehen ist,
wird nicht gesagt und bleibt dem Ermessen der verschiedenen
Gouverneure überlassen. Weiter heißt es, daß sie nur für „all-
gemeine Zwecke“ zulässig sein solle, und.da uneingeschränkt.
Wo sie auch zu anderen Zwecken noch bestehe, solle man „be-
strebt‘ sein, sie sukzessive abzubauen. Sie dürfe nur gegen Ent-
lohnung und nicht so durchgeführt werden, daß der Arbeiter
von seinem Wohnort verschleppt würde. Ein solches Dekret
läßt genügend Schlüsse auf Verhältnisse zu, in denen diese Be-
stimmungen noch eine „Verbesserung“ darstellen. Im übrigen
aber zeigt es die Gefahren der sogenannten Demokratisierung,
die hier nichts anderes bedeutet als eine gesetzliche Sanktio-
nierung der Zustände, die dringend abschaffungsbedürftig sind.
Ebensowenig wie die Zwangsarbeit praktisch abgeschafft
ist, ist das der Fall bei der Sklaverei, obwohl die Engländer
längst behaupten, daß sie in ihrem Imperium nicht. mehr besteht
und eine große Anzahl von Dekreten dies verkünden.
Anfang dieses Jahres wurde, mit dem entsprechenden Lärm
in der englischen bürgerlichen Presse, ein Gesetz verkündet,
nach dem die Sklaven in Sierra Leone befreit werden sollten.
„Durch dieses. Gesetz werden 117 000 Sklaven in dem britischen
Protektorat befreit, ohne daß ihre Besitzer hierfür entschädigt
werden‘‘, heißt es in der Pressemeldung. „Sofort nach der Er-
klärung des britischen Protektorats ist die britische Verwaltung
gegen die dort allgemein verbreitete Sklaverei eingeschritten,
hat aber, wahrscheinlich um die eingeborenen Häuptlinge nicht
zu sehr zu reizen, die Aufrechterhaltung der Sklaverei in ihren
Haushaltungen geduldet.“ Was es aber eigentlich mit dieser
Sklavenbefreiung auf sich hat, geht aus den Pressemeldungen
nicht hervor: In Sierra Leone sind 38% des Bodens mit.Öl-
palmenplantagen bestellt, die fast ausschließlich den Lever
Brothers gehören, den Inhabern der bekannten englischen
„Sunlight‘“-Seifenfabrik. Dieses Riesenunternehmen, das bisher
einen wesentlichen Teil seines Betriebes auf Sklavenhaltung ge-
gründet hat, gibt sich in England selbst den Anschein einer
„sozialen“ Unternehmung; es hat vor kurzem das System der
Gewinnbeteiligung für ihre Arbeiter eingeführt. Was aus den
kolonialen Arbeitern durch Sklaverei herausgepreßt wird, wird
zu einem minimalen Bruchteil den Arbeitern des Kernlandes
wiedergegeben, und die müssen noch „danke schön“ dafür sagen.
Aber auch in jenen Palmölplantagen, in denen die Sklaverei dem
Namen nach’ nicht mehr besteht, ist das Leben der Arbeiter
3 Fabian, Arbeiterschaft und Kolonialpolitik
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