II. DIE INNEREN MERKMALE DES STAATES 259
der einzelnen deutschen Stämme beruhen zum Teil darauf. So müssen wir auch
heute wenigstens die weiße Bevölkerung der Vereinigten Staaten als eine Nation
anerkennen, obgleich diese „Yankeenation“ erst in unserer Zeit aus den Nach-
kommen der verschiedensten europäischen Völker in dem „Schmelztiegel“ der
Union zu einer einheitlichen Masse zusammengewachsen ist. — Andrerseits
müßte die Bevölkerung Deutschlands, der Niederlande und Englands eine
gemeinsame Nation bilden, denn sie ist in ihren Hauptbestandteilen derselben
Abstammung.
Auch die Einheit der Religion oder Konfession macht das Wesen
der Nation nicht aus, denn wir finden in vielen Nationen verschiedene
Glaubensbekenntnisse vertreten. Die religiösen Verhältnisse vermögen
zwar sowohl in trennendem als auch in einigendem Sinne innerhalb
einer Nation zu wirken, aber ausschlaggebend sind sie nicht.
Selbst ein dreißigjähriger Religionskrieg vermochte die Einheit der deutschen
Nation nicht zu zerreißen, wenn auch deren politisches Leben bis zum heutigen
Tage durch den Gegensatz evangeli-
scher und katholischer Weltanschau-
ung manche unerwünschte Belastung
erfährt. Andrerseits war der fast im
gesamten Gebiet der Donaumonarchie
herrschende Katholizismus nicht im-
stande, den verderblichen Völker-
zwist dieses Staates zu unterbinden.
Daß aber die Religion in anderen
Fällen die wirksamste Grundlage na-
tionaler Bindung sein kann, zeigt uns
vor allem das Beispiel alter und ge-
genwärtiger islamitischer Staaten.
Von weitaus größerer Be-
deutung als die Religion er-
scheint für den inneren Zu-
sammenhalt einer Nation
die Gemeinsamkeit der Spra-
che zu sein; denn gleiche Spr&-
che fördert gleiches Denken und
damit auch gleiches Wollen und Handeln. Es gibt infolgedessen auch
heute Politiker, die in der gemeinsamen Sprache geradezu das Wesen
der Nation erblicken. In der Tat finden wir bei fast allen Nationen
eine Einheit der Sprache, oder, wo sie noch nicht vorhanden, bewußt
oder unbewußt das Streben danach.
Die gemeinsame englische Sprache war und ist z, B. das wichtigste Mittel
zur Zusammenschweißung der jungen amerikanischen Union und das festeste
Band, das die über den ganzen Erdball verstreuten Teile des Britischen Welt-
reichs umschlingt.
Und doch ist auch die gemeinsame Sprache noch nicht der Kern
im Wesen der Nation. Dieser scheint vielmehr zu liegen in der ge-
schichtlich erwachsenen geistigen Gemeinschaft und in dem
alle Volksteile durchdringenden Bewußtsein von dieser, das
wieder das Gefühl der Zusammengehörigkeit und den festen
Willen des Zusammenhaltens auslöst. Gemeinsamer Wohnsitz,
gemeinsame oder ähnliche Blutmischung, gemeinsame Sprache, gemein-
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