Ze
= V. Kapitel,
zunächst Bezug genommen werden auf jene Lehre, nach welcher die
sogenannten „sozialen Akte“, unter ihnen also auch die „Ansprüche“,
„vernehmungsbedürftig“ seien. Hinsichtlich der „Ansprüche“ ist
nun die Bezeichnung „vernehmungsbedürftig“ wenig glücklich, da
durch solche Bezeichnung der bedenkliche Irrtum hervorgerufen werden
muß, ein Gegebenes sei „Anspruch“ nicht bereits als Wirkungs-
gewinn in Beziehung zu besonderem Wollen als seiner
wirkenden Bedingung, sondern erst als wirkende Bedingung
für solche Veränderung der Seele des Anspruchadressaten,
welche in jenem Wollen gewollt war. Indes ist es wohl klar, daß
auch ein hinsichtlich des Anspruchadressaten vollständig wirkungs-
loser Anspruch eben ein „Anspruch“ ist, nicht aber etwa ein „An-
spruch- Versuch“, ein „nicht vollendeter Anspruch“, wie denn überhaupt
jede „Behauptung“ ohne Rücksicht auf besondere seelische Verände-
rungen des Adressaten eine „Behauptung“ ist. Man darf eben nicht die
Gegebenen „Behauptung“ und „erfolgreiche Behauptung“, insbesondere
auch nicht die Gegebenen „Anspruch“ und „erfolgreicher Anspruch“ ver-
wechseln. Ein „Anspruch“ ist also keineswegs „vernehmungsbedürftig“
in dem Sinne, daß erst, wenn kraft eines Anspruch-Wollens gewollte
Veränderungen des Anspruchadressaten eingetreten sind, ein „Anspruch“
vorliegt. Das Wort „vernehmungsbedürftig“ ist also hinsichtlich eines
Anspruches eine unpassende Bezeichnung für die Tatsache, daß mit
jedem Anspruche auf besondere Veränderungen einer Ander-Seele ge-
zielt wird, jeder „Anspruch“ also in jenem Wollen, das seine wirkende
Bedingung abgibt, als „Mittel“ für jene Veränderungen gedacht war.
Von der aus dem Wesen des Anspruch-Wollens heraus zu bejahenden
Frage aber, ob mit jedem Anspruche auf seelische Veränderungen des
Anspruchadressaten gezielt wird, ist die durchaus anders ge-
artete Frage zu unterscheiden, ob bereits mit dem Anspruche, ins-
besondere mit der Behauptung des „Eigen-Wunsch- bzw. -Furcht-Ge-
dankens“, sich ein „Sollen“ des Anspruchadressaten ergibt, oder erst in
jenem Zeitpunkte, in welchem der Anspruchadressat jene Behauptung
„vernommen“ hat, ob ferner der Ansprucherheber in seinem Anspruche
behauptet, daß bereits mit seiner Behauptung des „Eigen-Wunsch- bzw.
-Furcht-Gedankens“ sich ein „Sollen“ des Anspruchadressaten ergeben
hat, oder erst in jenem Zeitpunkte, da der Anspruchadressat jene Be-
hauptung „vernommen“ hat. Wenn man meint, es sei „sinnlos“, daß der
Ansprucherheber behaupte, schon mit seiner Behauptung des „Eigen-
Wunsch- bzw. -Furcht-Gedankens“ sei ein „Sollen“ des Anspruch-
adressaten vorhanden, der Ansprucherheber vielmehr meine, jenes Sollen
sei erst vorhanden, sobald der Ansprucherheber jene Behauptung „ver-
nommen“ habe, so meint man offenbar auch, es sei „ungerecht“, wenn
ein solches „Sollen“ eintrete, ohne daß der Anspruchadressat jene Be-