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IX. Kapitel.
was eigentlich jenes Gegebene ist, das man als jemandes „Recht‘‘ be-
zeichnet, werden wir zweifellos ‘den „Rechtsbegriff‘‘ erfaßt haben oder
doch seiner Erfassung nahe gekommen sein. Allbekannt ist die Lehre,
daß jemandes „Recht“ seine besondere ‚„,Willensmacht‘“‘ darstellt, welcher
Lehre freilich die Lehre vom „Rechte als geschütztem Interesse‘ gegen-
übersteht. In der Tat ist nun jemandes „Recht‘‘ stets eine besondere
Macht jenes „jemand‘, und es frägt sich nur, welcher besondere
Machthaber ein ‚„‚Berechtigter‘ ist. Mit der Rede, daß A das „Recht“
darauf habe, daß B ihm einen vereinbarten Kaufpreis bezahle, kann
aber nicht eine besondere ‚,Verhalten-Geltungs-Macht‘‘ des A geyen-
über dem B gemeint sein. Denn wenn auch A nicht die Macht hat,
den B durch besonderen Anspruch zur Zahlung des Kaufpreises zu
veranlassen, bleibt doch die Tatsache, daß A. das „Recht‘‘ auf Zahlung
des Kaufpreises hat, bestehen. Daß A gegen B ein „Recht“ auf
Zahlung des Kaufpreises hat, bedeutet vielmehr, daß A gegenüber
einem C eine besondere Verhalten-Geltungs-Macht hat,
kraft welcher er dem B die Nicht-Zahlung des vereinbarten
Kaufpreises in besonderer Weise ungünstig zurechnen
kann, bedeutet also, daß A gegenüber dem B eine be-
sondere „Befugnis“ hat. Nicht jede „Befugnis“ stellt aber ein
„Recht‘ dar, sondern nur jene Befugnis, kraft welcher der Befugte
eine für den Befugnisbetroffenen ungünstige Zurechnung deshalb herbei-
führen kann, weil er die Macht hat, einen Dritten zu besonderer Weisung
kraft Auslegung zu veranlassen, welche als wirkende Bedingung für
den Vollzug jener ungünstigen Zurechnung in Betracht kommt. In
Kürze können wir sagen, daß jene ‚Befugnis‘ ein „Recht‘“ darstellt,
kraft welcher der Befugte durch Herbeiführung eines „Rechtsver-
fahrens‘“ eine für den Befugnisbetroffenen ungünstige Zurechnung
herbeiführen kann. Die Bestimmung des Gegebenen „Recht“ als be-
sonderer Befugnis läuft also auf eine Bestimmung des Gegebenen
„Rechtsverfahren‘‘ hinaus.
In jedem „Rechtsverfahren‘“ finden wir vor allem den „Spruch“
eines „Rechtsrichters‘“ („Rechtsweisers‘) und jeder solche
„Spruch“ stellt sich als eine besondere „Weisung kraft Auslegung“
dar, da nicht jede „Weisung kraft Auslegung“ auch schon ein
„Rechtsrichter-Spruch“, eine „Rechtsweisung“ ist. Wir ge-
brauchen das Wort „Rechtsrichter‘‘ („„Rechtsweiser‘“) und nicht das
Wort ‚Richter‘ schlechthin, weil das letztere Wort dadurch vieldeutig
geworden ist, daß man es über seine eigentliche Bedeutung hinaus
in verschiedenen anderen Bedeutungen gebraucht. Sehen wir auf die
eigentliche Bedeutung, so nennen wir „Richter-Seelenaugenblick“
jeden Verhalten-Seelenaugenblick, in welchem jemand auf besondere
Behauptung mit der Absicht oder Quasi-Absicht zielt, daß jene Be-