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abwegig, wenn man die Wirtschaftsgeschichte aus unserer Wissen-
schaft ausschließt. Diese wird dadurch zu einem sinnlosen Bruch-
stück. Die Beschränkung der Nationalökonomie auf die Theorie ist
ganz naturgemäß entstanden in der Zeit der naturwissenschaftlichen
Behandlung unseres Wissensgebiets, als den Forschern so etwas wie
sine Physik oder Mechanik des Wirtschaftslebens vor Augen schwebte
‘siehe oben S. 122f.). Damals mußte eine Wissenschaft, die die „Ge-
setze des Wirtschaftslebens‘“ herausarbeitete, in der Tat als eine selb-
ständige Wissenschaft erscheinen. Heute, wo wir als die Aufgabe
unserer Wissenschaft das Verstehen der wirtschaftlichen Zusammen-
hänge erkannt haben, hat die Abschnürung der Wirtschaftsgeschichte
nicht den mindesten Sinn mehr. Denn heute wissen wir ja, daß unser
eigentliches Ziel diese Empirie ist und daß uns die Theorie nur den
Weg zu diesem Ziele bahnen soll. In der Umkehrung des Zweck-
Mittel-Verhältnisses zwischen Theorie und Empirie tritt
der ganze große Unterschied zwischen der naturwissen-
schaftlichen und kulturwissenschaftlichen Auffassung der
Nationalökonomie zum Greifen deutlich in die Erscheinung.
Die Naturwissenschafiler drücken dieses Verhältnis so aus: „Con-
crefe economics comes in to supplement the pure economy“, wie es
selbst der „gemäßigte‘‘ Keynes sen. formuliert. Wir dagegen sagen:
„the pure economy comes in to supplement concrete economics‘, zu
Jeutsch: wir studieren die Geschichte, das heißt das wirkliche Wirt-
schaftsleben nicht, um Theorien aufzustellen; sondern wir stellen
Theorien auf, um die Wirklichkeit zu verstehen. Die „Gesetze“ stehen
bei uns nicht am Ende, sondern am Anfang unserer Untersuchungen.
Ein ganz kleiner Unterschied in der Satzstellung, und doch schließt
er eine Welt ein. Der Gegensatz zwischen theoretischen und histori-
schen Nationalökonomen ist damit aber auch hinfällig geworden. Wer
aicht Theorie und Empirie gleichmäßig treibt, ist überhaupt kein
ganzer Nationalökonom, sondern nur ein Teil von einem solchen. Na-
tionalökonomie als sinnvolles Ganzes stellt eine Vereinigung von
Theorie und Empirie dar. Wir können ein bekanntes Kantisches Wort
auf das Verhältnis der beiden Seiten unserer Wissenschaft zueinander
anwenden, indem wir sagen: eine Nationalökonomie ohne Theorie ist
blind, eine solche ohne Empirie leer.