Full text: Handbuch der vergleichenden Statistik der Völkerzustands- und Staatenkunde

VORWORT. 
V 
Statistik Werth und Bedeutung erst dann, wenn sie die Verhältnisse 
und Zustände vergleichend, prüfend und beurtheilend darstcllt, 
und dabei auch die Ursachen und die Wirkungen bezeichnet. 
Man hat, besonders in Deutschland, viel darüber gestritten, ob 
sich die Statistik mit dem Staate oder der bürgerlichen Gresellschaft, 
— mit den politischen oder den socialen Verhältnissen — vorzugs 
weise zu befassen liabc. Wir würden unbedingt sagen: mit der Ge 
sellschaft, wenn der Staat überall das naturgemässe Produkt der 
gesellschaftlichen Bedürfnisse, — wenn nicht so vieles Unnatürliche 
octroyirt, der Staat in manchen Dingen selbst der Gegensatz dessen 
wäre, was er nach unserer Ansicht sein sollte. Unter diesen that- 
sächlichcn Verhältnissen sagen wir: die Statistik habe Staat und 
Gesellschaft zu umfassen. 
In Deutschland hat man theoretisch die Statistik meistens auf 
den Augenblick der Gegenwart zu beschränken gesucht. Sic soll 
„den als Jetztzeit fixirtcn Moment,“ die „stillstchende Geschichte,“ 
die „ruhende Wirklichkeit,“ oder „den Querdurchschnitt durch die 
geschichtliche Entwicklung des Lebens“ darstellen. Es ist dies Folge 
der irrigen Grundansicht, die Statistik eigentlich nur als „historische 
Wissenschaft,“ als eine Abtheilung der Geschichte zu betrachten. 
Bekannt sind besonders Schlözers Worte: „Geschichte ist eine fort 
laufende Statistik, und Statistik ist eine stillstehende Geschichte.“ In 
Folge der weitern Entwicklung dieser Ansicht könnte die Statistik 
eigentlich nichts Anderes sein, als ein abgeschnittenes (amputirtes) 
Glied der Geschichte. 
Obwohl wir diese Theorie eigentlich nirgends bekämpft finden, so 
hielt doch ein richtiges Gefühl die nichtdeutschen Statistiker durchgehends 
von einer ausdi ücklichen Zustimmung ab. Der Unterschied zwischen 
Geschichte und Statistik scheint uns schon darin scharf hervorzutreten, 
dass die Geschichte vorzugsweise cinc Darstellung des jeweils Gesche 
henden und Geschehenen, der Ereignisse, die Statistik hin 
gegen vorzugsweise, gerade nach jener Auffassung aber sogar aus 
schliesslich, eine Darstellung der Zustände sein soll. Zudem 
sahen sich Diejenigen, welche jene Ableitung der Statistik von der Ge 
schichte, imd die absoluteste Beschränkung derselben auf den „Stillstehen“ 
sollenden „Moment der Gegenwart“ aussprachen, doch selbst zu den 
inannichfachsten Ueberschreitungen ihrer selbstgezogenen Grenze ge-
	        
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