Full text: Der gesetzgeberische Ausbau des Deutschen Reiches und seine Wirtschaftlichkeitspolitik

ļg 2. Abschnitt. Grundlegung u. Ausbau der Sozial- u. Wirtschaftspolitik. 
Landtag hefteten sich nun gerade an diese Unterfrage, namentlich an die Einführung 
der IV. Wagenklasse; insbesondere verlangte man in Baden die Beibehaltung der 
Preise der bisherigen Kilometerhefte, die sich für die IIL Klasse, wenigstens bei 
Schnellzügen, billiger stellten als die vorgesehenen neuen Sätze. In Preußen anderer 
seits sprachen sich weite Kreise gegen die vorgeschlagene Aufhebung d'es Frei 
gepäcks der Reisenden aus. So zeigte sich auch hier wieder, daß man kleine 
Sondervorteile, kleine persönliche Annehmlichkeiten in ihrer Bedeutung übermäßig hoch 
einschätzte, während man die Bedeutung und Rückwirkung der einheitlichen Gesamt- 
verwaltung, einheitlicher Tarife und gleicher Verkehrsmittel nur gering anschlug und 
den allein maßgebenden Standpunkt des Allgemeininteresses kaum berücksichtigte. 
Das Bedauerliche dabei aber ist, daß damit die Vereinheitlichung des deutschen Bahn 
wesens abermals vereitelt wurde. 
b) G r o ß s ch i f f a h r t. 
Ende der 70er Jahre vollzog sich in der öffentlichen Meinung ein Umschwung 
zugunsten der Binnenwasserstraßen. Der eine Grund lag in den neuen technischen 
Verbesserungen im Strom-, Kanal- und Schiffbau, der andere darin, daß sich als 
eines der charakteristischen Wahrzeichen des Maschinenzeitalters die Produktionssteige 
rung und das daraus hervorgehende rasche und fortwährende Anwachsen des Trans 
portverkehrs und besonders der zu transportierenden Gütermenge immer schärfer aus 
prägte. Besonders deutlich ergibt sich dies aus der neuesten Förderung und Ver 
frachtung von Kohle und Eisen. Die Förderungsstatistik zeigt ein anhaltendes, 
enormes Wachsen dieser tonangebenden Industriezweige, so daß schon, wie auch 
ein Blick auf den allein im vergangenen Jahre auf das Doppelte gestiegenen 
Rheinverkehr bestätigt, in einem Jahrzehnt voraussichtlich das Doppelte der heutigen 
Menge zu transportieren sein wird. Die Eisenbahnen im Westen sind seit ge 
raumer Zeit au der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Die Auf- 
gabe der Massenbewältigung tritt mit solcher Wucht auf, daß sie im Transport 
verkehr eine gleich fundamentale Umwälzung hervorruft wie die Massenfabrikation 
in der Gesamtproduktion. Und diese Umwälzung liegt in dem Antrieb für die 
Transportanstalten, für welche bisher die Raschheit der Beförderung ausschlag 
gebend war, die andrängenden Massengüter wieder, wie es früher bis zur Aus 
breitung der Eisenbahnen hergebracht war, bem billigeren Wasserweg zuzulenken, und 
neue Wasserstraßen vermittels der Kanalisierung zu erbauen. 
Alle diese Neuerungen, sowie das Aufkommen neuer (indirekter) Konkurrenz 
linien haben bewirkt, daß der Wettbewerb im Ausball der Wasserstraßen im ver 
gangenen Jahrzehnt den Aufwand der meisten Staaten — Preußen und Frankreich werfen 
je 400, Oesterreich 625 Mill. M. aus — in einem Maße gesteigert hat, daß er an den 
Wettbeiverb im Ausbau der Kriegs- und Haildelsmarine erinnert. Das ist namentlich 
für Süddeutschland, das in seiner Lage zu dem die heutige Weltwirtschaft beherrscheuden 
Weltmeer besonders ungünstig daran ist, ein Fingerzeig. Will es die Ungunst der 
geographischen Lage ausgleichen, soll es nicht von den Konkurrenten überflügelt 
werden, so darf es vor Aufwendungen in entsprechender Höhe nicht zurückschrecken; 
die letzten Jahre haben ja schon die maßgebenden Kreise mit Zahlen vertraut gemacht, 
die man noch vor zwei Jahrzehnten kaum zu neunen gewagt hätte.
	        
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