Object: Der gesetzgeberische Ausbau des Deutschen Reiches und seine Wirtschaftlichkeitspolitik

38 2. Abschnitt. Grundlegung u. Ausbau der Sozial- u. Wirtschaftspolitik. 
Die Vereinfachung und schärfere Präzisierung des Problems hängt mit eitler 
Scheidung der Anforderungen zusammen, wie sie sich schon vor vier Jahrzehnten z. B. 
im Baufach, Maschinenbau re. vollzogen hat. Wie es auf technischem Gebiet für die 
Aus- bezw. Weiterbildung je nach der sozialen Stellung und Vorbildung eine Ab 
stufung von Fortbildnngs-, Fach-, Werkmeister-, Baugewerkschulen, „Techniken" bis 
hinauf zur Technischen Hochschule gibt, ebenso muß auch auf dem Gebiete des kanf- 
männischen Berufs eine Stufenfolge der Aus- und Fortbildung für die künftigen 
Betriebsleiter, ihre „Werkmeister" imb die bloßen Handlanger geschaffen werden. 
Heute besteht noch über die Frage eine Meinungsverschiedenheit, was den Kern 
der Handelshochschulkurse bilden soll? Die einen legen das Hauptgewicht aus die 
Vertiefung der Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge durch die National 
ökonomie, die anderen auf die Fachbildung und die privatwirtschaftliche Handelstechllik. 
Wir haben bei dieser Unterfrage eine Reihe einander widersprechender Be 
dürfnisse und Gesichtspunkte vor uns. Die Entscheidung wird damit zusammen 
hängen, ob von den Begründern der Anstalt deren Zweck so gedacht wird, daß 
für die kaufmännische Jugend die akademische Bildung das Vorankommen erleichtern 
soll. Wäre das die Bestimmung, so hätten die bisher errichteten Anstalten ihren 
Beruf verfehlt; denn in diesem Punkt haben sie gänzlich versagt! Sie mußten 
auch zu weit gehende Hoffnungen von Aspiranten enttäuschen; denn die Hochschulen 
sind nahezu außerstande, an der Vervollkommnung der Lehrlingsausbildung und 
Kontor-Routine zu arbeiten. 
Einen klareren Einblick verschaffen wir uns, wenn wir einen rohen Ueber- 
schlag über die Anzahl der Handlungsbeflissenen zu machen versuchen, für die der 
Besuch einer Mittel- oder Handelshochschule von Nutzen sein kann. Hiefür stehen 
ans der Berufszählung von 1895 zwei Anhaltspunkte zu Gebot: sie ergab an 
männlichen Angestellten (Bureau- und Kontorpersonal) 145000 und an Handels 
betrieben, die sechs und mehr Personen beschäftigen, 32 000. Die künftigen Chefs 
der letzteren Firmen, vor allem aber die der größeren unter ihnen, also etwa 16000, 
sollten sich eine bessere Allgemeinbildung aneignen, als sie in den gewöhnlichen 
Fortbildungsschulen vermittelt werden kann. Die Gesamtzahl abziiglich der größeren 
Firmen (mit 16000) ergiebt 129 000 Angestellte oder 89 Prozent, die für die frag 
lichen Kurse nicht in Betracht kommen, für welche die herkömmliche Lehrlingsaus 
bildung und zu deren Ergänzung der Besuch der Fortbildungsschule genügt. Von 
den restlichen 11 Prozent, die Aussicht haben, eine leitende Stellung — etwa als 
künftige Geschäftsinhaber, Direktoren, Disponenten — zu erlangen, ist nur für einen 
Bruchteil, etwa 3—5000, der hochschulmäßige Studiumsbetrieb geeignet. Für die 
anderen 11—12 000 Angestellten ist der Besuch von Mittelschulen (höheren Han 
delsschulen, Handelsrealanstalten, Handelsfachklassen u. a.) — zweckmäßiger. 
Den Ausschlag für die Art der Errichtung kann übrigens hier, wie bei allen 
derartigen gemeinwirtschaftlichen Veranstaltungen, nicht der private Standpunkt und 
nicht das Einzelinteresse, sondern lediglich das des ganzen Berufsstandes und 
sein Bedürfnis geben, für die Hebung des ganzen Standes Vorkehrungen und 
Garantien indirekt unb von langer Hand zu schaffen und zu erhalten. In dieser 
Beziehung wollen wir nur einige Gesichtspunkte hervorheben. 
Einmal besteht, wie ein Erlaß des sächsischen Ministeriums des Innern vorn 
24. April 1906 ausführt, ein bemerkenswerter Mangel an qualifizierten Bewerbern
	        
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