Full text: Der gesetzgeberische Ausbau des Deutschen Reiches und seine Wirtschaftlichkeitspolitik

II. Staatlicher Schutz der Unternehmer- und Arbeiterklasse. 
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Wettbewerbs im modernen Wirtschaftssystem zu dem Punkt, um den sich 
die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahrzehnte drehen sollte. In Frage stand dabei 
die Stellung der Regierung 1. im allgemeinen gegenüber dem freien Wettbewerb aus 
dem Waren-, Kapital- und Arbeitsmarkt überhaupt, 2. im besonderen — zumal in 
folge des landwirtschaftlichen Notstandes und unter der Einwirkung des sozialistischen 
Pessimismus — ihre Stellung zwischen dem Groß besitz, dem Mittelstand und den 
nichtbesitzenden Klassen, ferner gegenüber dem Gegensatz zwischen dem wachsenden 
Machtbereich des Weltverkehrs und dem nationalen Staat (Produktions- und 
Expansionssystem, See- und Weltwirtschaftspolitik). 
Wo überhaupt die Grundtendenz einer Volkswirtschaft und die Starke eines 
Staatsmesens immer zuerst und am deutlichsten zutage tritt, wo auch in den letzten 
Jahrzehnten tatsächlich Regierung und Gesetzgebung am kräftigsten eingriffen imb 
eingreifen mußten, das waren folgende Grundfragen: 1. die Mittelstands- und 
Arbeiterfrage und 2. die negativen und positiven Beziehungen zum Ausland, 
oder der Schutzzoll, sowie der Erwerb von Kolonialbesitz und die Expansions 
politik. 
1. Staatlicher Schutz des Mittclstaudcs. 
a) Kleingewerbe und kleingewerbliche Organisation. 
Den Anfang der sozialen Bewegung bildet, wie schon erwähnt, die gegen 
die Mitte des vorigen Jahrhunderts auftretende Bedrängnis des Kleinbetriebs, des 
Handwerkerstandes, der damals etwa zwei Millionen Existenzen repräsentierte. Klar 
vor Augen trat sie zuerst in der geringeren Widerstands- und Konkurrenzfähigkeit des 
Handwerks. Vergeblich suchte man nach den Mitteln zur „sozialen Reform". Am 
dringendsten erschien die Einführung der formalen Gleichberechtigung. So wurde denn 
in den 60er Jahren in den einzelnen Bundesstaaten, schließlich 1860 durch das nord 
deutsche „Notgewerbegesetz" und mit seiner Ausdehnung auf das Deutsche Reich im 
Jahre 1871 die Gewerbe- und Konkurrenzfreiheit im ganzen Reiche eingeführt. Bereits 
im Jahre 1873 jedoch gelangten auf Grund der damaligen Krise die zünftlerischen Be 
strebungen zum Wiedererwachen. Manche Handwerkszweige, wie die der Leinenweber 
Wollspinner, Seiler, Drechsler, Nagelschmiede lagen in einem aussichtslosen Existenz 
kampf. Andere Kleinbetriebe fühlten sich durch spezielle Neuerungen im Erwerb be 
schränkt, so durch die neuaufkommende Konkurrenz der Gefängnisarbeit, der Konsum- 
vereine, der Abzahlungsgeschäfte, der Wandergewerbe, durch den unlauteren Wett 
bewerb re. Alle sehnten die früheren Tage zurück, in denen diese Bedrängnisse 
noch unbekannt waren. Die Wiedereinführung des Zunftzwanges sollte sie wieder 
heraufführen. 
Die Beschwerdepunkte und die Mittel für die Nenbelebung des Kleinbetriebs 
suchten die Fiihrer Ende der 70er Jahre zu einem Reorganisationsprogramm zu 
sammenzufassen, dessen Kern staatliche Garantie eines Durchschnittseinkommens, staat 
licher Schutz gegen die großkapitalistische Preisunterbietung im Wege der Privilegierung
	        
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