Full text: Antike Wirtschaftsgeschichte

104 Sechstes Kapitel. Die Entwicklung der römischen Weltwirtschaft. 
Griechenland keine Kriege oder Krankheiten wüteten und alles dazu 
angetan war, die Wunden zu heilen, die der Krieg geschlagen hatte, 
bemerkte Polybius diese Erscheinung mit großem Erstaunen (Poly 
bius XXXVII, 4). Er erklärte dies ähnlich, wie Roosevelt dies in 
Amerika tat, durch den überhandnehmenden Luxus, doch kann dies 
nur die Bevölkerungsabnahme in den wohlhabenden Kreisen er 
klären. Diese kamen aber bei der Bevölkerungszahl nicht wesent 
lich in Betracht, wenn auch dort die Erscheinung besonders in 
die Augen fiel. Aber gerade bei den weiten Kreisen der Bevölke 
rung ist die Erscheinung schwierig zu erklären. Ein Teil der Be 
völkerung ist sicher durch ein freieres Leben, besonders durch den 
Kriegsdienst, dem Familienleben entfremdet worden, bei einem 
andern wird man wohl auch eine durch den wirtschaftlichen Auf 
schwung bedingte Zunahme des Einkommens und der kleinen Er 
sparnisse annehmen müssen. Bei diesen führte berechtigte Angst, 
daß die Kinder, seien es nun Arbeiter, Bauern oder Handwerker, 
in Not und Elend zurücksinken könnten, zur Einschränkung der 
Fortpflanzung. Denn im allgemeinen ist nur bei den Schichten, 
die etwas zu verlieren haben, diese Tendenz entwickelt, viel weni 
ger beim Proletariat, das nichts zu verlieren hat. Aber auch in 
diesen Schichten dürfte die Einschränkung des Kinderzuwachses 
stärker verbreitet gewesen sein als heute. Neben der Verhinde 
rung der Befruchtung, die meist eine höhere Intelligenz und 
fürsorgende Tätigkeit erfordert, waren dem Menschen der Antike 
im allgemeinen zwei Möglichkeiten gegeben, die heute beide ver 
pönt sind, Fruchtabtreibung und Kindesmord. Von diesen 
Möglichkeiten kommt die zweite bei unserer Bevölkerungszahl fast 
gar nicht in Betracht, die erstere jedenfalls nicht in dem Maße 
wie bei völliger gesetzlicher Zulässigkeit, wie sie z. B. in der re 
publikanischen Zeit Roms vorhanden war. Auch spätere Gesetze 
in der römischen Kaiserzeit, welche die Fruchtabtreibung verhindern 
sollten, waren keineswegs ausreichend. Die physische Degeneration 
muß noch genannt werden sowie die familienauflösende Tendenz 
der Großstädte. Wieweit die einzelnen Faktoren mitgewirkt haben, 
läßt sich für die Antike nicht feststellen, fehlen doch selbst für die 
Gegenwart diesbezüglich ausreichende Untersuchungen. Die Be 
völkerungsabnahme scheint sich im 2. Jahrhundert auf das ganze 
Mittelmeergebiet erstreckt zu haben und zunächst gewisse Teile 
Italiens, dann die andern Provinzen ergriffen zu haben. 
Die römische Expansionspolitik war, wie wir gesehen haben,
	        
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