Full text: Grundzüge der Sozialpolitik

Vorwort. 
Sozialpolitische Fragen unterliegen in besonderem Maße dem per 
sönlichen Urteil. Weniger noch als bei anderen Zweigen der Volks 
wirtschaftspolitik hat hier die Wissenschaft zu feststehenden und allgemein 
anerkannten Ergebnissen gelangen können. Gleichwohl habe ich geglaubt, 
dem Zwecke des Lehrbuches zu Liebe meine persönliche Auffassung 
möglichst hinter den Tatsachen zurücktreten lassen zu sollen. Diese 
Tatsachen reden deutlich genug. Sie zeigen die große Vielgestaltigkeit 
der sozialpolitischen Aufgaben und Arbeiten; sie lassen erkennen, daß 
die sozialpolitischen Leistungen der letzten Jahrzehnte einen bedeutenden 
Umfang erreicht haben, weisen aber auch auf die Fülle der noch zu 
lösenden Aufgaben hin. Zugleich lassen die tatsächlichen Angaben klar 
hervortreten, wie wenig es möglich ist, allgemein gütige Richtschnuren 
für die sozialpolitische Arbeit aufzustellen. Soweit ich meinem persön 
lichen Urteil Ausdruck gegeben habe — was namentlich in den grund 
sätzlichen Betrachtungen des I. (allgemeinen) Teiles der Fall ist —, 
kann daraus ein Schluß auf die Auffassung der Reichsverwaltung selbst 
verständlich nicht gezogen werden, zumal ich an deren sozialpolitischen 
Arbeiten Anteil zu nehmen keine Gelegenheit gehabt habe. Meine 
eigenen Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Gebiete theoretischer und 
praktischer sozialpolitischer Arbeit, zu denen mir in meinen früheren 
Stellungen reiche Gelegenheit geboten war, sind überall die Grundlagen 
meines Urteils. Daß ich auch da, wo ich meine persönliche Auffassung 
zum Ausdruck bringe, bemüht gewesen bin, eine Polemik mit anders 
Denkenden zu unterlassen, erklärt sich aus der Aufgabe des Lehrbuches 
ohne weiteres. 
Der III. und IV. Teil des Buches ist wesentlich knapper gehalten 
als der II. Teil, der den wichtigsten Zweig der Sozialpolitik, die 
Arbeiterwohlfahrtspolitik, behandelt. Ihm gegenüber haben der III. und 
IV. Teil mehr den Charakter eines ergänzenden Anhanges. 
Vieles von dem, was ich ausgeführt habe, wird denjenigen nicht 
fremd sein, die sich ständig in der Wissenschaft, Gesetzgebung, Ver 
waltung und Praxis mit sozialpolitischen Angelegenheiten beschäftigen. 
Aber ein Lehrbuch ist nicht in erster Linie für die Wissenden, sondern 
vor allem für die Wissensbedürftigen bestimmt, und diesem Umstande 
hatte ich Rechnung zu tragen. 
Friedenau b. Berlin, Ende April 1904. 
II. van der Borght.
	        
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