43
Die Steigerung der Fleischerzeugung.
Nachdem wir so die Entwickelung der einzelnen Zweige der land
wirtschaftlichen Tierzucht verfolgt haben, wollen wir versuchen, die ganze
Prägnanz dieser Entwickelung in eine ziffernmäßige Darstellung des Wachs
tums der Gesamtproduktion an Fleisch zusammenzufassen. Um zu wissen,
wieviel Fleisch in einem Lande von der einheimischen Landwirtschaft
jährlich erzeugt wird, muß man zwei Dinge genau kennen: die Zahl der
geschlachteten einheimischen Tiere und ihr wirkliches Fleischgewicht; aber
weder über das eine noch über das andere haben wir bis jetzt irgendwo
allgemeine statistische Erhebungen. Wäre das neue Fleischbeschaugesetz
in Deutschland auch auf die Hausschlachtungen ausgedehnt worden, so
würde es gegenwärtig ein leichtes sein, mit Hilfe der mit der Fleisch
beschau zu verbindenden statistischen Notierungen wenigstens die Zahl der
jährlich geschlachteten und in den Konsum gelangenden Tiere genau fest
zustellen. Unter den bestehenden Verhältnissen aber und insbesondere für
die Vergangenheit bilden die Viehzählungen in Verbindung mit allgemeinen
Beobachtungen in den städtischen Schlacht- und Viehhöfen unsere einzige
Grundlage. Auf dieser Grundlage sind bereits mehrere Fleischproduktions-
berechmuigeu ausgeführt worden. So hat z. B. Martin 1 ) berechnet, dass
im Königreich Sachsen die einheimische Landwirtschaft die Erzeugung von
Fleisch in den 60 Jahren von 1835—1894 um 463 °/ 0 gesteigert hat. Für
Deutschland hat Lichtenfeit 2 ) nach der Viehzählung von 1892 und dem
Konsum einzelner Städte einen durchschnittlichen Fleischverbrauch von
39,9 kg pro Kopf festgestellt. Wie aber schon Huckert 3 ) nachgewiesen hat,
haften der Lichtenfeltschen Berechnung erhebliche Mängel an; im ganzen
dürfte der Konsum zu niedrig sein. Huckert selbst berechnet aus den
Viehzählungen von 1873 und 1892 die Steigerung der einheimischen Fleisch
produktion Deutschlands während dieser 20 Jahre auf 74,7 %, v. d. Goltz 4 )
dagegen konstatiert für den gleichen Zeitraum nur ein Wachstum von 20 %.
Diese starke Differenz erklärt sich hauptsächlich daraus, dass v. d. Goltz
nur das Wachstum der Viehzahl an sich und die Steigerung des Lebend
gewichts der Einzeltiere in Eechnung gestellt und für die Reduktion aller
Vieharten auf Kindvieh die alten Zahlen benutzt hat, welche das Verhältnis
der einzelnen Tierarten zueinander nach dem Futterbedürfnis derselben
ausdrücken. Huckert weist dagegen darauf hin, daß man bei einer
Fleischberechnung diese Reduktion nicht nach dem Futterbedürfnis der
Tiere, sondern nach dem Verhältnis der Fleischmenge ausführen müsse,
welche die einzelnen Tierarten im Durchschnitt liefern. Weiterhin betont
er, dass der Prozentsatz der Tiere, die jährlich geschlachtet werden, nicht
1) Die Fleisehversorgung Sachsens; Jahrb. für Nat. u. Stat. 1896, Bel. 66.
2 ) Der Verbrauch von Fleisch im Deutschen Beiche; Landw. Jahrbücher 1897
26. Band.
3 ) Zur Geschichte und Statistik des Fleischkonsums in Deutschland; Zeitschr. für
Sozialwissenschaft, III. Jahrg. 1900.
4 ) Die agrarischen Aufgaben der Gegenwart. Jena 1894.