Full text: Die deutschen Getreidezölle

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Zölle und Löhne. 
Neuerdings rechnen die Agrarier dem deutschen Volke 
mit Vorliebe die Opfer vor, die die Landwirtschaft des Ostens 
für die Industrie bringe, dadurch daß sie jährlich den Über 
schuß ihrer Bevölkerung an die Städte abgebe. Das seien jähr 
lich 200 000 Menschen. Und wenn man die Erziehungskosten 
eines ungelernten Arbeiters bis zum Alter von 15 Jahren auf 
4000 Mk. schätze, so würde durch den Geldwert dieser vom 
Lande gelieferten Menschen die Leistung der Städte und der 
Industrie für die Landwirtschaft ausgeglichen werden. Nur 
nebenbei sei bemerkt, daß nach einer in Thiels Jahrbüchern 
veröffentlichten Arbeit das Einkommen eines erwachsenen 
pommerschen Landarbeiters 400—450 Mk. beträgt, so daß die 
Summe von 4000 Mk. recht willkürlich hoch gegriffen ist. 
Normalerweise würde man entsprechend dem Einkommen 
u nd den Lebensbedingungen dieser Kreise die Erziehungskosten 
bis zum 15. Jahr auf höchstens 1500 Mk. veranschlagen dürfen. 
Doch das nebenbei. Warum wandern denn die Leute 
Vom Lande ab ? Weil ihnen diese Löhnung für ihre Existenz 
nicht genügt, und die Stadt ihnen mehr Aussicht vorwärts 
Zu kommen bietet. Auch hat diese Abwanderung 
z ur Zeit hoher Getreidepreise in weit größerem Maße 
stattgefunden als heute, und zwar zu einer Zeit, ehe 
diese Leute sich der Stadt und der Industrie zuwandten. Vor 
deren Aufblühen wanderten im Jahre 1881 nicht weniger als 
2 10 547 Menschen über See aus, und erst unter dem Einfluß 
Ares Aufblühens ist die Auswandererzahl auf 19 883 im Jahre 
1908 gesunken. Jene Auswanderung war ein großer Verlust, 
den die deutsche Volkswirtschaft alljährlich erlitten hat; wenn 
diese Auswanderer seit dem Aufblühen der Industrie in Deutsch 
land bleiben, ist es daher nicht die Industrie, welche der Land 
wirtschaft Kräfte entzieht, sondern welche dem Vaterlande
	        
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