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tischem Gebiete in Deutschland vollbracht wurden, als die
Grundsätze der Freihandelspolitik zur Herrschaft gelangt
waren. Als das große Ziel der politischen Einigung erreicht
war, hatte es den Anschein, als ob die nationale Aufgabe der
Freihandelspolitik erfüllt sei, und daß man seine Waffen nun
der Rumpelkammer anvertrauen dürfe.
Seit der Einführung der Schutzzollpolitik sind drei Jahr
zehnte verflossen. Infolge rastloser Arbeit des deutschen
Volkes, infolge der epochemachenden Erfindungen und Errungen
schaften seiner Gelehrten und Techniker hat sich trotz aller
handelspolitischen Hemmungen die deutsche Volkswirtschaft
machtvoll entwickelt. Deutschland ist in dieser Zeit aus einem
ärmlichen Agrarstaat ein reicher Industriestaat geworden,
und seine Bevölkerung hat sich um 20 Millionen Menschen
vermehrt. Aber gerade die Bedürfnisse und die Existenz
bedingungen dieses Industriestaates fordern immer dringender
die allmähliche Rückkehr zur alten preußischen Freihandels
politik. Je mehr Deutschland auf den Bezug von Nahrungs
mitteln und Rohprodukten vom Auslande angewiesen ist, um
so mehr müssen auch seine Industrien für den Weltmarkt ar
beiten, um so mehr werden sie darauf angewiesen, für ihre
Produktion immer neue Absatzgebiete zu erobern. Eine solche
Eroberung aber läßt sich nur dann wirksam durchsetzen, wenn
die Freihandelsidee wieder in der Welt zur Herrschaft gelangt.
Wir erleben es heute, wie durch die übermäßige Erhöhung der
Agrarzölle die Lebenshaltung und die Arbeitsfähigkeit unseres
Volkes sich senken, und wie durch die protektionistischen Ge
genwirkungen anderer Staaten die Expansionsmöglichkeit un
serer Industrie, ohne die sie nicht mehr gedeihen kann, ent
schieden gehemmt wird.
In keinem anderen protektionistischen Staat hat die Be
völkerung so sehr unter den Agrarzöllen zu leiden, wie in Deutsch
land, denn in keinem andern ist die Bevölkerungsdichte so
groß, wie bei uns. Im Deutschen Reich kamen im Jahre 1910
auf den Quadratkilometer 120,04 Menschen, in Österreich-
Ungarn 75,91, in Frankreich 37,82, in Rußland 5,85, in den
Vereinigten Staaten von Amerika 11,96. Alle diese Staaten
aber sind in bezug auf die Getreideversorgung viel günstiger
gestellt, als Deutschland. Österreich-Ungarn und Rußland