Full text: Einführung in die Kriegswirtschaftslehre

Einführung in die Kriegswirtschaftslehre. 
(1. Fortsetzung.) 
Von Otto Neurath, Wien. 
IV. Arten der kriegswirtschaftlichen Bedarfs 
deckung. 
Gehen wir nun zur Güterbeschaffung für den 
Kriegsfall über. Es handelt sich sowohl um die 
Bereitstellung der Kriegsmittel im engeren Sinne, 
als auch um die Beschaffung von Nahrung und 
sonstiger Bedarfsartikel für die Armee und Zivil 
bevölkerung. Diese Beschaffung kann entweder 
im Rahmen der Geld- und Kreditordnung in kom 
merzieller Weise erfolgen, oder aber mit Hilfe ent 
sprechender Verwaltungsmaßnahmen; 
wie denn überhaupt im Falle eines Krieges mit 
starken Eingriffen der Staatsgewalt gerechnet 
werden muß. Wie weit solche Eingriffe für die 
weitere Entwicklung des bürgerlichen Lebens von 
Vorteil oder Nachteil sein können, haben wir hier 
nicht näher zu erörtern. 
Ob man die Güterbeschaffung durch Geld 
vorzieht oder die Beschaffung auf dem Ver 
waltungswege, ist nicht nur eine Frage des fis- 
k a 1 i s c h en Interesses, sondern auch eine von prin 
zipieller sozialer Bedeutung. Im ganzen kann 
man heute die Beobachtung machen, daß gesell 
schaftliche Gesichtspunkte bei der Güterversorgung 
eine größere Rolle spielen, als etwa vor einer 
Generation. Diese Tendenz macht sich auch auf 
kommerziellem Gebiet geltend und wir können 
sowohl im Geld- als auch im Kreditwesen erheb 
liche Eingriffe der Regierungen beobachten. Auf 
einige derselben werde ich im Folgenden noch 
zurückkommen. Auf dem Gebiete der Heeres 
wirtschaft macht sich eine doppelte Tendenz geltend. 
Einerseits wird man sich in militärischen 
Kreisen immer stärker der Wichtigkeit kom 
merzieller Betriebsformen bewußt und trachtet 
darnach interne Einrichtungen dem modernen 
Geschäftsleben entsprechend umzugestalten; man 
sucht aber auch mit den Banken und son 
stigen Instituten unmittelbarer, als dies früher üb 
lich war, in Kontakt zu treten, um so die In 
teressen der Armee besser wahren zu können. 
Andererseits wird heute der fiskalische Gesichts 
punkt in kommerziellen Maßnahmen der Heeres 
verwaltung und mit ihr in Verbindung stehender 
Behörden nicht mehr so ausschließlich, wie früher 
Angenommen. Sozialpolitische Momente 
treten häufig hervor, insbesondere bei der Be 
schaffung von Naturalien und bei der Beschaffung 
v on Artikeln, die vom Kleingewerbe geliefert 
Werden können. Die Förderung der Landwirtschaft 
Is t ebenso ein Ziel des Staatsganzen, wie die 
Förderung der Armee, die selbst ein Mittel zur 
Durchsetzung staatlicher Zwecke darstellt. Es kann 
daher ganz gut Vorkommen, daß man den Be 
darf für die Armee so deckt, daß die Landwirt 
schaft dabei möglichst gewinnt. Es kann das 
Staatsganze gewinnen, selbst wenn die Armee 
möglicherweise teurer einkaufen sollte als sonst. 
Die Rentabilität an einer einzelnen Stelle des 
Gesellschaftskörpers tritt für viele Politiker gegen 
über jener des Gesamtwohles in den Hintergrund. 
Wir sehen derartiges häufig im Staatsleben. 
Denken wir uns ein Eisenbahnsystem. Eine wich 
tige Verbindungslinie soll vom Staat gebaut 
werden. Es zeigt sich, daß dieselbe unrentabel 
ist, das heißt die aufgewendeten Geldsummen 
werden nicht durch die Einnahmen entsprechend 
verzinst. Trotzdem kann diese Linie für das Eisen 
bahnsystem im ganzen rentabel sein, weil die Ge 
samteinnahmen aller Strecken zusammen durch 
die Schaffung dieser Verbindungslinie steigen. Die 
Linie kann aber auch möglicherweise dazu beitragen, 
die.Einnahmen des Staates zu steigern, ohne 
die Einnahmen des Eisenbahnsystems zu erhöhen. 
Es wäre ja möglich, daß durch die Schaffung 
dieser Linie zwar die Frachteinnahmen nicht ent 
sprechend wachsen, aber dennoch die an den 
Eisenbahnen liegenden Industrien derart empor 
blühen, daß sich vermehrte Steuerergebnisse zeigen, 
die zwar nicht vom Eisenbahnministerium, wohl 
aber vom Finanzministerium ausgewiesen werden. 
Aber es sind noch immer wenigstens Mehrein 
nahmen desStaates, welche die Verbindungs 
bahn erzeugt. Es kann aber der Fall Vorkommen, 
daß Politiker die Schaffung dieser Linie begrüßen, 
selbst wenn durch dieselbe die Staatsein 
nahmen überhaupt nicht zunehmen, sondern, 
nur der Volkswohlstand, das Glück und 
Wohlbefinden der Bürger steigen. 
Wenn wir das allgemeine Wohl als ein Ziel 
staatlicher Maßnahmen annehmen, können wir 
nicht ohneweiters einer Formulierung zustimmen, 
die wir in einem sonst sehr lesenswerten und an 
regenden Aufsatz antreffen*): «Es obliegt der mili 
tärischen Verpflegswirtschaft im Frieden die fis 
kalische Aufgabe, bei allen Maßnahmen dem Prinzip 
der Wirtschaftlichkeit volle Geltung zu verschaffen. 
Also die Aufgabe, gute aber wohlfeile Ware anzu 
kaufen und den gesamten Betrieb unter dem Ge 
sichtspunkt möglichster Ersparnis an Wirtschafts 
spesen aller Art zu organisieren, zu leiten, durch 
zuführen.» Es kann sich ja auf Grund allgemeiner 
*) Fritz Roeder «Die militärische Verpflegswirt 
schaft im Frieden». Annalen des Deutschen Reichs für 
Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. 1910 
Nr. 2, S. 134 f.
	        
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