Full text: Einführung in die Kriegswirtschaftslehre

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manche unter ihnen, welche sich für den Krieg 
als Mittel aussprachen, die politische Macht der 
Nation zu heben, selbst unter Hintansetzung der 
Ernährung, Bekleidung und sonstigen Bedürfnis 
befriedigung. Daß diese durch einen Krieg ge 
winnen könnten, nahmen die meisten von ihnen 
nicht an. Die theoretische Volkswirtschaftslehre 
der Folgezeit hat nun zwar diese Grundgedanken 
mehrfach verworfen, aber dem Kriege dennoch keine 
Aufmerksamkeit geschenkt. Nur einzelne Denker, 
insbesondere Praktiker haben sich mit kriegs 
wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, so zum Bei 
spiel Lowe im Zeitalter der napoleonischen 
Kriege. Aber eine wissenschaftliche Tradition 
bildete sich so nicht heraus. Im letzten Jahrzehnt 
waren es vor allem praktische Gründe, welche 
zu kriegswirtschaftlichen Untersuchungen drängten. 
Die Rüstungen wuchsen überaus rasch an. Die 
Völker litten erheblich unter dem Rüstungsdruck, 
die Komplikation des Geld- und Kreditwesens 
war so fortgeschritten, daß die Erschütterungen 
eines großen Krieges mit steigender Sorge ge 
fürchtet wurden. Insbesondere die Marokkokrise 
hat in Deutschland, aber auch in anderen Staaten 
zu kriegswirtschaftlichen Schriften Veranlassung 
gegeben. Dazu kam noch, daß auf Seiten der 
Friedensfreunde die Wirkungen des Krieges und 
der Rüstungen auf den Wohlstand immer inten 
siver studiert wurden. Alle diese Bestrebungen 
verdichten sich immer mehr und mehr zu geord 
neter Tätigkeit. 
Es ist zwar heute noch vielfach die Be 
schäftigung mit dem Kriege eine Sache der per 
sönlichen Zu- oder Abneigung. Die meisten von 
denen, die sich über den Krieg in irgend einer 
Richtung äußern, treten entweder für ihn auf, 
oder bekämpfen ihn. Das ist häufig zu Beginn 
einer Wissenschaft so. Wenn die Diskussion aber 
etwas fortgeschrittener ist, merkt man allmählich, 
daß es einen ganzen Stock von Problemen gibt, 
deren Lösung völlig unabhängig von unserem 
Gefallen oder Mißfallen ist. Der Friedensfreund 
und der Kriegsfreund können sie völlig gleich 
artig beantworten, um dann im weiteren Verlauf, 
wenn ihre Wünsche zum Ausdruck kommen, die 
tatsächlichen Verhältnisse, ,wie sie die objektive 
Wissenschaft feststellt, zu verwenden. Die Kriegs 
wirtschaftslehre ist eine Wissenschaft, wie die 
Ballistik, die ebenfalls unabhängig davon ist, ob 
man für oder gegen die Verwendung von Kanonen 
eintritt. Die Ausbildung einer wissenschaftlichen 
Kriegswirtschaftslehre führt dazu, die wissen 
schaftlichen Bestrebungen, die sich heute zer 
streuen, zu konzentrieren und zu gedeihlicher 
Kooperation zu bringen. 
Die Kriegswirtschaftslehre besitzt bis 
jetzt keine Tradition. Die im Laufe 
der Zeit erworbenen Erfahrungen gehen daher 
fast gänzlich verloren. Nach großen Kriegen, so 
nach dem siebenjährigen Krieg, wurde in der 
Literatur diesem Gebiete einige Aufmerksamkeit 
geschenkt. Dann vergißt man an diese Probleme. 
Im Zeitalter der Napoleonischen Kriege wendet 
man wieder kriegswirtschaftlichen Fragen durch 
die Praxis angeregt, das Augenmerk zu. Aber im 
allgemeinen findet man in der Literatur dieser 
Zeit kaum einen Nachhall von den Ergebnissen, 
welche die Forschungsperiode vorher gezeitigt 
hatte. Aehnlich steht es mit den Kriegsperioden 
der Folgezeit. So hat man z. B. nach dem Jahre 
1870/71 eine Reihe kriegswirtschaftlicher Arbeiten 
veröffentlicht, insbesondere wurde ziemlich viel 
über die französische Kriegsentschädigung ge 
schrieben. Aber auch dieser Literatur fehlte die 
Kraft, eine wirkliche Tradition zu erzeugen. Man 
trifft in der Folgezeit selten eine Betrachtung an, 
die sich mit dem deutsch-französischen Krieg be 
schäftigt. Erst zu Beginn des XX. Jahrhunderts 
beginnt sich eine Tradition herauszubilden. Frei 
lich das Versäumte ist nur schwer nachzuholen. 
Man findet denn auch ältere kriegswirtschaftliche 
Literatur auffallend selten zitiert, ältere Kriege 
auffallend selten berücksichtigt. Es wird wohl 
noch eine lange Reihe von Jahren dauern, bis 
man die Kriegswirtschaftslehre derart gesichert 
hat, daß sie eine Tradition besitzt, welche nicht 
mehr abreißt. Es wird dazu die Schaffung eigener 
Organisationen nötig werden, welche die kriegs 
wirtschaftliche Forschung zu fördern hätte. Nur 
wo Organisationen bestehen, kann man die Kon 
tinuität einigermaßen aufrechterhalten. 
Die Entwicklung der Kriegswirtschaftslehre 
als Sonderdisziplin wird vor allem dazu führen, 
eine geschlossene Theorie mit zweckmäßig ge 
stalteten Begriffen zu schaffen. Es werden sich 
allgemeine Vorstellungen entwickeln, deren Aus 
bildung dann Aufgabe weiterer Arbeit sein wird. 
Diese allgemeinen Vorstellungen sind einerseits 
an sich reizvoll, sie fördern die Erkenntnis und 
befriedigen unser Streben nach Erkenntnis, sie 
dienen aber auch dazu, die Bedeutung einzelner 
Probleme richtig zu erfassen. Man kann keine 
Wissenschaft so treiben, daß man Einzelunter 
suchung an Einzeluntersuchung reiht. Um eine 
Einzeluntersuchung anstellen zu können, muß man 
bereits die allgemeinen Ziele kennen, die man 
verfolgt, man muß, wenn auch nur unbestimmt, 
sich davon ein Bild zu machen trachten, was 
wohl als unwichtig vernachlässigt werden darf, 
was als wichtig besonderer Beachtung wert er 
scheint. 
Die Wissenschaft gibt uns so weite Perspek 
tiven, sie deutet Entwicklungsrichtungen an, sie 
läßt uns aber auch oft Keime des Zukünftigen 
erkennen, an denen wir achtlos vorübergegangen 
wären, hätte sie unser Auge nicht für das wer 
dende Gebilde geschärft. 
II. Verschiedenartigkeit der Kriegswirkung. 
1. Prinzipielle Organisation sver- 
h ä 11 n i s s e. , or 
Wenn wir uns daran machen, die Wirkungen 
des Krieges und der Rüstungen zu untersuchen, 
so zeigt sich bald, wenn wir nicht in irgend einer
	        
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