3
Richtung voreingenommen sind, daß wir kaum
so bald dazu gelangen dürften, diese Frage all
gemein zu beantworten, sind doch die Wirkungen
des Krieges bei den verschiedenen Völkern und
zu verschiedenen Zeiten je nach der Verschieden
heit der gesellschaftlichen Organisation überaus
verschieden. Die scheinbar naheliegendsten Ar
gumente erweisen sich als korrekturbedürftig. Die
ersten tastenden Versuche mahnen bereits zur
Vorsicht.
Man versucht zum Beispiel vielfach die
Wirkungen des Krieges etwa in der Weise zu be
stimmen, daß man alle Menschen, welche der
Krieg tötet, alle Menschen, welche die stehende
Armee absorbiert, nach ihrer Produktionsfähigkeit
abschätzt und die Gesamtheit der so vernichteten
Produktivkräfte als reinen Verlust in Abzug
bringt. Abgesehen davon, daß man außerdem
noch den Gewinn des Krieges in Anrechnung
bringen muß, ist auch die angedeutete Betrach
tungsweise nicht immer am Platze. Und zwar
deshalb nicht, weil sie davon ausgeht, daß alle
Organisationen, vor allem diejenige, in der wir
leben, eine volle Ausnützung aller Kräfte in nor
malen Zeiten kennt. Dies ist nun nicht der Fall.
Man kann sich zwar Organisationen denken,
welche alle Kräfte voll ausnützen, unsere Organi
sation gehört nicht zu ihnen. Jedem ist der Aus
druck «Ueberproduktion» bekannt. Man erwähnt
eine Ueberproduktion von Büchern, von Tuch,
von Aerzten usw. Was bedeutet dieses Wort?
Offenbar nicht, daß mehr produziert wird, als
man konsumieren kann. Denn es ist doch klar,
daß es immer noch Menschen gibt, welche für
Bücher Verwendung hätten, daß es Menschen
gibt, die eines Arztes bedürfen, daß es Menschen
gibt, welche sich ungenügend bekleiden. Unter
dem Worte Ueberproduktion versteht man etwas
anderes, es bedeutet, daß die weitere Produktion
den Produzenten keine Vermehrung des Rein
gewinnes bringen würde. Tabelle I zeigt uns,
wie wir uns etwa die Tatsache zu erklären haben,
daß bei steigender Produktion die Rentabilität ab
nimmt. Das Beispiel stellt nach mehr als einer
Richtung eine Vereinfachung dar, gibt uns aber
ausreichende Aufklärung. Wir sehen deutlich, wie
der Reingewinn des Produzenten im vorliegenden
Falle zwar absolut und prozentuell ansteigt, wenn
der Produzent 150 Stück statt 100 erzeugt, wir
sehen aber auch, daß der Reingewinn sofort fällt,
wenn er die Produktion fortsetzt. Die Ziffern der
Selbstkosten und des Erlöses sind dabei ganz
den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend an
gesetzt. Wir sehen, wie die Stückselbstkosten bei
steigender Produktion fallen, die Gesamtselbst
kosten aber ansteigen. Sie könnten eventuell auch
konstant bleiben. Wenn ich zum Beispiel Fische
fange, sind die Selbstkosten eines großen Fanges
ebenso hoch wie die eines kleinen Fanges. Aber
bei der Fabrikation von Waren sehen wir immer
ein Ansteigen der Gesamtselbstkosten. Je mehr
Stücke einer Ware auf den Markt kommen, desto
tiefer fällt der Stückpreis, der Gesamterlös kann
dabei steigen, wie dies in unserem Beispiel der
Fall ist.
Tabelle I.
Abhängigkeit des Reingewinnes von der produzierten
Menge:
Anzahl
der pro
duzierten
Stücke
Selbstkosten
Erlös
Reingewinn
pro
Stück
im
ganzen
pro
Stück
im
ganzen
pro
Stück
im
ganzen
in
»Io
100
10
1000
10-50
1050
0-50
50
5
150
8
1200
8-72
1308
0-72
108
9
200
7
1400
7-28
1456
0-28
56
4
Wenn Unternehmer im vorhinein wissen, daß
bei wachsender Produktion der Reingewinn sinken
wird, schränken sie absichtlich die Produktion ein.
Dies tun zum Beispiel sehr viele Kartelle, ja es
gibt solche, die in erster Reihe zu dem Zweck
geschlossen werden, um eine einverständliche
Produktionseinschränkung zu ermöglichen. So
haben zum Beispiel die österreichischen Baum
wollspinner im Herbst 1912 eine 33prozentige
Betriebsreduktion vogenommen. Ein Teil der
Maschinen mußte ruhen, die Arbeiter, welche sie
sonst bedienten, mußten feiern.
Man hat gelegentlich die Vermutung aus
gesprochen, der sinkende Reingewinn deute nichts
anderes an, als die Tatsache, daß an anderen
Stellen der Produktion Arbeitskräfte nötiger
wären als gerade dort, wo der Reingewinn sinkt.
Wenn der Reingewinn in derTextilindustrie sinke,
so komme das etwa daher, daß man in der
Landwirtschaft Arbeiter brauche. Dort verzinse
sich das Geld besser. Man kann auf verschiedene
Weise zeigen, daß diese Betrachtung nicht all
gemein giltig sein kann. Am einfachsten dürfte
man das Ziel erreichen, wenn man ein einfaches
Beispiel betrachtet, in dem die Vernichtung einer
Gütermenge die Rentabilität erhöht, in einem Fall,
in dem die Produktion der größeren und der
kleineren Gütermenge gleich viel kostet. Archen
holz, dessen Geschichte des siebenjährigen Krieges
recht bekannt ist, hat eine zeitlang regelmäßige
Berichte über englische Verhältnisse veröffentlicht,
ln einem derselben lesen wir nun folgendes*:
«Die Fleischer in London fuhren mit ihrem
abscheulichen Gebrauch fort, große Säcke mit
frischem Fleisch des Nachts in die Themse zu
werfen, um es nicht, wegen des Ueberflusses not
gedrungen unterm Preise zu verkaufen, oder es
umsonst wegzugeben. Alle Mittel, diesem Unfug
zu steuern, waren vergebens. Die Fischhändler in
London hatten einen ähnlichen Gebrauch. Sie
gaben den auf der Themse ankommenden Fischer
fahrzeugen, noch ehe sie London erreichten, durch
Signale von dem Zustand des dasigen Fisch
marktes Nachricht. Befand sich dieser wohl ver
sehen, so wurden, um keinen Ueberfluß zu er
* J. W. v. Archenholz, Annalen der Britischen Ge
schichte des Jahres 1788. I. Bd. Carlsruhe 1790. 10. Ab
schnitt, S. 362.