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das damals rein agrarische, daher am Agrar-Export und Industrie-Import
lebhaftest interessierte Ungarn in seinem Parlamente eine freihändlerisch
gerichtete Vertretung besaß. Jahre hindurch genossen die landwirtschaftlicheil
Produkte fast keinerlei Zollschutz; unter beu verschiedensten Begünstigungs
titeln konnten sie, besonders vom Westen, in den Bereich der Monarchie ge
bracht werden. Die Träger der Schutzzollpolitik waren
im Anfang ausschließlich die Industriellen und Ge
werbetreibenden. Die Landwirte wurden erst dann die Bundes
genossen der Industriellen, als schlimme Erfahrungen, ja sogar schließlich
bitterste Nöte sie dazu zwangen.
Landwirtschaft und Schutzzoll.
Wie schon angedeutet, stand seit dem Handelsvertrag mit Deutschland
vom Jahre 1868 unsere Westgrenze für Getreideeinfuhr offen; dieselbe stieß
nur im Osten und Südosten auf Zölle. Im Jahre 1873 war die Getreideernte
in Ungarn knapp ausgefallen. Die ungarische Regierung verlangte daher
und erhielt die Zustimmung der österreichischen zur Gewährung der zollfreien
Getreideeinfuhr für ein Jahr. Im Sommer dieses Jahres stiegen die Ernte
aussichten, gleichzeitig aber sanken die Getreidepreise. Die
ungarischen Landwirte erklärten nun, an diesem Niedergänge der Preise sei
nur die ungehemmte Einfuhr rumänischen und russischen Ge
treides schuld und verlangten wieder nach den Getreidezöllen. In
Oesterreich stemmte man sich dagegen und forderte die Aufrechterhaltung
der Z o l l f r e i h e i t für Getreide, bei der es zunächst blieb. Der
Zolltarif von 1878 enthielt zwar zahlreiche von Industriellen ver
langte Schutzzölle, gab aber die Einfuhr der meisten landwirt
schaftlichen Produkte frei.
Indessen sollte bald auch in der Landwirtschaft ein gründlicher Umschwung
der Meinungen eintreten. Im Gefolge einer furchtbaren Wirtschaftskrisis
in ihren Oststaaten, die Hunderttausende mit einem Schlage arbeitslos machte,
und mit Hilfe der unzähligen Einwanderer aus Europa hatten die Ver
einigten Staaten von Nordamerika begonnen, die ungeheueren Ländereien
niemals wirtschaftlich benützten Bodens in ihren Zentral- und Weststaaten
zu kultivieren. Eines der riesigsten Getreide-Anbau gebiete
der Welt entstand dort. Der jungfräuliche Boden gab willig die köstlichsten
Ernten. Gewaltige Ströme und ein rasch entstehendes Netz von sich gegenseitig
durch niedrige Tarifsätze bekämpfenden Eisenbahnen ermöglichten einen
billigen Transport in die Hafenstädte der Union am Atlantischen
Ozean; von dort nach den Häfen des Mittelmeeres und der Nordsee war die
Fahrt gleichfalls nicht teuer. Dank diesen niederen Produktious- und Fracht
kosten vermochte der amerikanische Weizen, aber auch amerikanisches
Fleisch und F e t t, Ende der siebziger Jahre schon in Europa den
heimischen Produzenten Konkurrenz zu machen. Zunächst wurde Deutschlands
Landwirtschaft, welche bisher England mit Lebensmitteln versorgt hatte,
aus diesem alten Absatzgebiete herausgeworfen, so daß sich die Getreidemassen
im Lande selbst anhäuften und die Preise drückten; die französische Landwirt