Es flil't wvhl heute gar keinen Lrt, wo das Gespräch sich
nicht nach fünf Minuten den Fragen der Ernährung zuwendet. Die
Nahrungsfrage ist heute das drängendste Problem geworden. Indem
ich die ehrende Einladung des Niederösterreichischcn GewerbevereincK
angenommen habe, einen Vortrag über Ernährungssragen zu halten,
bin ich mir wieder einmal voll und ganz bewußt, welch undank
bare Stellung mir bei der Losung dieser Probleme beschieden ist.
Denn vou diesem Platz ist Ihnen wiederholt und erst heute vor
acht Tagen i» einem blendenden. Vortrage, sozusagen nach dem Herzen
gesprochen worden - ich befinde mich nicht in dieser beneidenswerten
Lage, zu Ihnen zu sprechen, etwa nach dem Rezepte: „Die Kinder,
sie hören es gerne." Ich muß mich also auch hier in die mir seil-
langem aufgedrungene Rolle finden, den Leuten nur unangenehmes und
unerfreuliches sagen zu können. Mit dieser reservatio bitte ich, mir
kurze Zeit Gehör zu schenken.
Das Hauptproblem, dem wir gegenüberstehen und das heute
alle Geister in Österreich in Atem hält, konzentriert sich in der Frage
nach den Möglichkeiten der Sicherstellung und der Verbesserung unserer
Ernährungslage.
Über die Möglichkeiten der Deckung des Bedarfes an Nahrungs'
mittel» aus der eigenen Produktion sind in der Öffentlichkeit vielfach
noch immer irrige Vorstellungen verbreitet. Noch immer spielen in den
Köpfen, wenn von österreichischer Nahrnngsmittelproduktion gesprochen
wird, Vorstellungen, welche die Verhältnisse der österreichisch-ungarischen
Monarchie als Ganzes im Auge haben, die Vorstellungen des früheren
sogenannten einheitlichen Wirtschaftsgebietes, für welches der Überschuß
Ungarns an Agrarprodukten maßgebend war.
Schon das alte Österreich, die im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Lcinster, war aut dem Gebiete der Ernährung
passiv. Produktion und Verbrauch hielten sich nicht die Wage. Di.'s
wird schon deutlich dadurch, daß 10 Millionen Selbstversorgern 17 Mil
lionen Nichtselbstversorger gegenüberstanden, das heißt, nur :! 7 Prozent
der Bevölkerung konnten sich ihr Brot ans eigener Fechsung backen.