Wertmaßstäbe der Konsumtion.
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§ 4
Ruhe den süßen Empfindungen der Lust sich hingibt, wird die Seele abgestumpft
durch das träge Gefühl, das sie berauscht. Darauf das Verlangen nach gesteigerten
Reizmitteln. Allein auch wenn alle Mittel untätigen Ueberflusses erschöpft werden,
es verbleibt dem satten Besitzer von Reichtum, der nur passivem Genießen dient,
immer nur Unbefriedigtsein als schließliche Wirkung. Dieses Gefühl wächst in dem
Maße, in dem infolge der täglichen Gewohnheit des Genusses die Empfindlichkeit
sich abstumpft, und die Seele wird von Langweile verzehrt, der unerbittlichen Gei
ßel solcher Reichen“ 1 ). Nur der Genuß (besser: die Befriedigung) jener andern,
selbsttätigen Art ist von Dauer, zumal wenn das Streben, das die Befriedigung aus
löst, nicht egoistischen Zwecken dient, sondern altruistischen. Völker wie Familien,
die jenen passiven Genuß suchen, verfallen dem Niedergange; doppelt wenn der Reich
tum nicht durch ihre eigne Willenskraft, sondern durch die der älteren Generation
erworben ist. Nur in der Willensbetätigung liegt das Heil, diese aber ist nicht käuf
lich, ja der Ueberfluß an Geld ihr vielleicht weniger dienlich als der Mangel. Reich
tum ist nicht ein Segen, sondern eine Gefahr. Nur ihn zu gewinnen und ihn für
andere zu verwenden, ist Glück, nicht ihn zu genießen. Die Flucht vor dem Ich,
das Suchen der Mühe und des Opfers ist das Geheimnis des Lebensglücks; „wenn
das Leben köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“; so erscheint es
dem rückblickenden Auge, und so wird das Spiel des Lebens am reizvollsten. Aber
auf ihren Anspruch, Selbstzweck zu sein, muß die Konsumtion verzichten, und es
ist Sache der Erziehung, ihren Zweck zu objektivieren. So ist es ein Fortschritt,
wenn in weiten Kreisen Geld, das früher weichlichem Genüsse diente, zu Auf
wendungen für tätigen Sport verwendet wird, oder wenn der Wohlhabende Geld
und Kräfte in den Dienst des gemeinen Wohls stellt. Der Reichtum soll mit tätiger
Willensanspannung nicht nur erworben, sondern auch verwendet werden; das ist
das Geheimnis der Lebenskunst des Konsumenten. Bezeichnet doch der Multi
millionär Carnegie in seinem Buche „Das Evangelium des Reichtums“ es als die
höhere Aufgabe, eine gemeinnützige Stiftung verantwortlich zu verwalten, als nur
das Geld zu geben; er bevorzugt darum auch die Stiftung bei Lebzeiten. Unsere Kon
sumtion wäre in der Tat so unerträglich, wie sie es für viele Junggesellen ist, hätten
wir nicht in der Familie mit ihren Ansprüchen an Entsagungskraft und Hingebung
ein bewährtes Mittel, unser Streben von dem persönlichen Konsumtionszweck ab
zulenken; durch Beschränkung der Kinderzahl wird dieses Mittel freilich entwertet.
Diese Mischung des Egoismus mit Altruismus, diese Ablenkung des Konsumtions
triebs auf noch breiterer Grundlage zu erzielen, ist das schwer erreichbare Ideal
kommunistischer Idealisten aller Zeiten gewesen 2 ).
') Vgl. auch G o s s e n s, von Brentano zitierten Hinweis auf Ludwig XV. von Frank
reich: „Seinen Höflingen und Maitressen gelang es durch Verschwendung der Kräfte eines
ganzen Volks, seine Hofhaltung so einzurichten, daß ihm Jedes, was dem Menschen auf der
Stufe der körperlichen und geistigen Ausbildung, auf welcher er sich befand, Genuß zu ge
währen im Stande ist, fast ununterbrochen geboten wurde. Je mehr dieses Ziel erreicht wurde,
desto mehr mußte die Summe des Lebensgenusses des beklagenswerten Ludwig sinken, denn
der Punkt der größten Summe des Genusses war bei ihm bei allen Genüssen längst überschritten.
Folge davon war, daß es zuletzt selbst einer Pompadour, die doch vor nichts noch so Unnatür
lichem zurückschreckte, wenn es für Ludwig Genuß versprach, nicht mehr gelingen wollte,
die tötlichste'^Langeweile zu verscheuchen. Und so ward lediglich das erreicht, ein ganzes
Volk unglücklich zu machen, um Ludwig selbst unglücklicher werden zu lassen, als der ge
drückteste aller Leibeigenen seines weiten Reichs.“ Vgl. auch die Schilderungen aus der rö
mischen Kaiserzeit in Friedländers Sittengeschichte Roms.
2 ) Nach Brentano (S. 65) gibt es zwar für Pflanze und Tier ein Optimum der Bedürf
nisbefriedigung, das bekanntlich in der Lehre vom Pflanzenwachstum eine Rolle spielt, aber
für den Menschen nicht; denn die ihm eigentümlichen geistigen Bedürfnisse seien unbegrenzt
steigerbar und darum niemals optimal zu befriedigen. Wir bezweifeln die Unbegrenztheit
irgendeines konkreten menschlichen Bedürfnisses, und finden die Zweifelhaftigkeit einer opti
malen Befriedigung vielmehr darin begründet, daß die Bedürfnisse des Menschen viel mehr
als die von Tier und Pflanze geschichtlich wechseln, und zwar namentlich die nicht wirtschaft
lichen Bedürfnisse, die mit den wirtschaftlichen in der menschlichen Seele in eine scharfe
Konkurrenz treten. Der unmoderne Mensch mit seinen immateriellen Bedürfnissen mag einem