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Ausgangspunkte.
struktive Pazifismus sucht bereits tiefergreifend die vornehmsten
Ursachen der kriegerischen Staatenkonflikte einzudämmen. Er hat in dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Woodrow Wilson, einen
Vertreter gefunden, der den theoretischen Gründen die Macht politischen
Einflusses leihen wollte. Das Programm Wilsons hatte hauptsächlich
die Förderung des politischen Weltfriedens zum Gegenstände. Doch ließ
bereits die Botschaft an den Kongreß vom 8. Januar 1918 in ihrem
fünften Punkte, der sich auf die kolonialen Streitigkeiten bezog, erkennen,
daß die wirtschaftlichen Kämpfe der in Betracht gezogenen
Völker mit berücksichtigt werden. Zu einer besonderen Bewertung der
wirtschaftlichen Interessenkonflikte kam Wilson in seinen Grundlagen
für einen Völkerbund, die er in seiner Rede vom 27. September 1918 in
Newyork erörterte. Darin warf er unter anderem auch die Frage auf, ob es
starken Nationen freistehen solle, schwachen Nationen Unrecht zu tun und
sie ihren Absichten und Interessen zu unterwerfen. Er stellte fest, daß
„wirtschaftliche Rivalitäten und Feindseligkeiten (economic rivalries and
hostilities)“ die reichliche Quelle von Plänen und Leidenschaften wurden,
die Kriege hervorriefen. Es würde daher ein unaufrichtiger und unsicherer
Friede sein, der nicht besondere Abmachungen innerhalb des befürworteten
Völkerbundes zustande brächte. Er bezeichnete es als eine von dessen
Grundlagen, daß es innerhalb des Völkerbundes „keine besonderen selbst
süchtigen wirtschaftlichen Vereinbarungen und keine Anwendung
irgendeiner Form des wirtschaftlichen Boykotts oder des Ausschlusses“
(„no special, selfish economic combinations within the League and no
employment of any form of economic boycott or exclusion“) geben dürfe.
Er wollte nur dem Völkerbund die Machtvollkommenheit zuerkannt
wissen, wirtschaftliche Strafen durch Ausschluß von den
Weltmärkten zu verhängen und dies wiederum nur als Mittel der Dis
ziplin und Kontrolle.
Während des Weltkrieges hat die vom „Nederlandschen Anti-Oorlog'
Raad“ im Haag begründete „Internationale Organisation für
einen dauernden Frieden (Organisation centrale pour une paix
durable)“ ein Mindestprogramm aufgestellt, das sich mit der Regelung des
Wirtschaftskampfes befaßt. Das Manifest dieser Vereinigung bezeichnete
die Expansionspolitik im Vereine mit den imperialistischen Tendenzen, die
sich zuspitzenden Rivalitäten zur Monopolisierung der Märkte und zur Er
oberung von Kolonien mit als eine der Ursachen, die bei der mangelhaften
Weltorganisation unvermeidlich zum Weltkriege führen mußten. Das
Mindestprogramm hatte allerdings nur für die Kolonien, Protektorate und
Interessensphären, Handelsfreiheit oder wenigstens die Gleichstellung
aller Nationen gefordert. Der „offizielle Kommentar“ des Mindest
programms begründet diese Forderung im einzelnen. Unter den Pazifisten
hat Lammasch, der vornehmste Propagator der Idee einer inter