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II. Die Fürsorge des Staates für die Land-
wirtschaft eine Errungenschaft der Neuzeit.
Es ist eine verbreitete Vorstellung, daß der staatliche Schul
der Landwirtschaft mit den Verhältnissen der Neuzeit mcht recht
vereinbar sei, oder wenigstens, daß gewisse Maßnahmen der
staatlichen Fürsorge für die Landwirtschaft sich mit den Ver-
hältnissen der Neuzeit nicht vertrügen. Um sogleich ein paar
praktische Beispiele herauszugreifen, so sieht man Getreide-
einfuhrzölle und die staatliche Festseßzung der Unteilbarkeit der
Landgüter als etwas längst Überwundenes, als etwas „Feu-
dales“, als etwas mit den modernen Verhältnissen gar nicht zu
Vereinigendes an. Als Aufgabe der Neuzeit erscheint die Für-
sorge für die städtischen Berufszweige oder wenigstens die Für-
sorge für die freie Entfaltung der städtischen Berufszweige.
Die Fürsorge für die Landwirtschaft habe in zweiter Linie zu
stehen. Der Staat der Neuzeit erscheint als merkantil und in-
dustriell, der des Mittelalters als agrarisch. Es handelt sich hier
um Vorstellungen, die nicht immer ganz klar sind, die aber jeden-
falls vorhanden sind und auch eine praktische Wirkung ausüben.
Diese Vorstellungen sind irrig: sie müssen umgekehrt werden.
Bevor ich die tatsächlichen historischen Verhältnisse darlege,
möchte ich die Bemerkung vorausschicken, daß wir, wenn wir
etwas als neuzeitlich bezeichnen, damit noch nicht ohne weiteres
ein Urteil über seine Zweckmäßigkeit oder etwa über einen un-
bedingten Vorzug der Maßregel oder Erscheinung abgeben. Bei
der Beantwortung der Frage z. B., ob der Staat, welcher Ge-
treideeinfuhrzölle beschließt oder die Unteilbarkeit der Land-
güter verfügt, zweckmäßig handelt, wird es auf die besonderen
konkreten Verhältnisse ankommen, unter denen die Maßregel