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Erster Abschnitt. Die Erklärungen der Wirtschaftskrisen.
erweitern. Der Wunsch, all dieses oder etwas davon zu tun, ist in
eines jeden Brust gepflanzt; nichts ist dazu erforderlich, als die
Mittel, und nichts kann diese Mittel geben, als eine Erweiterung der
Hervorbringung. Hätte ich Nahrungs- und andere Bedürfnismittel zur
Verfügung, so würde es mir nicht lange an Arbeitern fehlen, die mich
in den Besitz mancher von denjenigen Gegenständen setzten, welche
mir am brauchbarsten oder am wünschenswertesten sind 1 ).“
Auch in Deutschland war diese Anschauung weit verbreitet. In
seinen vielgelesenen „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre“ sagt
K. H. Rau: „Es ist unmöglich, daß von allen Gütern zugleich eine
größere Menge hervorgebracht würde, als man zu kaufen im
stande wäre.“
Diese Anschauungen mußten also ihre Hauptgegner im: Lager
derjenigen finden, welche der herrschenden Wirtschaftsordnung mit
ihrer schrankenlosen Freiheit in wirtschaftlicher Beziehung, dem
Privateigentum, und dem ungehemmten Erwerbstrieb als Triebkraft
der Produktion, kritisch gegenüberstanden. Bereits Robert Owen,
einer der frühesten Vertreter des Sozialismus, hatte in mehreren, in
den Jahren 1815—1823 erschienenen Schriften mit Nachdruck darauf
hingewiesen, daß die herrschende Wirtschaftsordnung die Schuld
an der allgemeinen Notlage trage. Die großen Fortschritte der Tech
nik, die Einführung der Maschinen hätten die menschliche Arbeit
entwertet, so daß die Kaufkraft der Arbeiterklasse herabgemindert
sei, während doch die Produktionsleistungen gewaltig gestiegen
wären. Als nach dem Aufhören der Napoleonischen Kriege die Auf
nahmefähigkeit der Absatzmärkte zurückging, behielt man die mecha
nische Kraft als die billigere bei und entließ die damit überflüssig
gewordenen Arbeiter. In diesem iSinne hing damals vor allem auch
die Notlage der Arbeiterklasse auf das engste mit dem Mißverhältnis
von Produktion und Konsumtion zusammen a ).
Mit weit größerem Nachdruck als Robert Owen hat die berühmte
Krisentheorie von Sismondi, der zwar nicht Sozialist war, aber
trotzdem zu den entschiedensten Gegnern der herrschenden Wirt
schaftsordnung gehörte, sich in einen ausgesprochenen Gegensatz
zu den Lehren von Say und Ricardo gestellt. Für ihn ist das Krisen
problem in erster Linie eine Frage der Einkommensverteilung. Das
Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion ist, der An
sicht Sismondis nach, in erster Linie durch die Kaufkraft der Ar
beiterklasse bestimmt. An verschiedenen Stellen seiner heute noch
! ) Nach der Übersetzung von Baumstark, 2. Aufl. 1877. S. 259—260.
s ) Vgl. dazu auch Helene Simon, Robert Owen. Jena 1905. Be
sonders Kap. 10.