85
Handeln getrieben wird und nicht immer fähig ist, die
Natur der Ursachen, die sie treibt, verstandesmäßig festzu
stellen oder die Folgen ihrer Handlungen klar zu zeichnen
— dies alles scheidet die Frauenbewegung keineswegs von
den großen Reformbewegungen der Menschheit, sondern
stellt sie vielmehr mit ihnen in eine Linie, indem es beweist,
wie lebensvoll, spontan, wie durchaus organisch und un
gekünstelt sie ihrem Wesen nach ist.
Die Tatsache, daß sie sich an einem Ort als leidenschaft
liche, manchmal fast zusammenhanglose Forderung nach
rechtmäßiger Teilnahme an öffentlichen un d sozialen Pflich
ten äußert, während sie sich anderwärts als entschlossenes
Streben nach Bildung fühlbar macht, daß sie sich in einem
Land hauptsächlich im Kampf um die Erweiterung der
Gebiete weiblicher Lohnarbeit verkörpert, während sie
sich in einem andern in erster Linie in dem Bestreben, das
persönliche Verhältnis der Geschlechter neu zu gestalten,
ausdrückt, daß sie bei einem Individuum sich in leiden
schaftlichem und manchmal lärmendem Kampf um per
sönliche Handlungsfreiheit äußert, bei einem andern still
in der Tiefe des eigenen Innern — diesem Hauptschlacht
feld, auf dem alle Fragen menschlichen Fortschritts end
gültig ausgefochten und entschieden werden — durchge
kämpft wird: all diese Verschiedenheiten und die Tat
sache, daß die Durchschnittsfrau ganz von der Arbeit auf
ihrem eigenen kleinen Gebiet in Anspruch genommen ist,
beweist nicht die Schwäche, sondern die Stärke der Be
wegung, die als Ganzes betrachtet eine stetige und fortlau
fende ist in der Richtung zunehmender Tätigkeit und Bil
dung und der Abwehr jeder Möglichkeit weiblichen Para
sitentums. Langsam und unbewußt, wie das Kind sich im
Mutterleibe bildet, wächst diese Bewegung im Schoße un
serer Zeit und fordert ihren Platz neben jenen großen
menschlichen Entwicklungen, von denen die Menschen an
gesichts ihrer Ursprünglichkeit und ihres Zusammenhangs