Das englische Agrarwesen.
5
schlechtesten Böden kommen nicht auf ihre Kosten, steigen aber
die Preise durch magere Ernten, so zwingt die soziale Not in den
großen Städten zur provisorischen Herabsetzung der Zölle. Eine
Kommission nach der anderen tagt, ohne die wahre Ursache der Not
lage der englischen Landwirtschaft entdecken zu können.
Diese Situation zieht sich bis 1846 hin, denn solange befinden sich
im Parlament, gestützt auf eine gänzlich veraltete Wahlrechtsord
nung, die Vertreter des angeblichen Landinteresses in der Majorität
und verhindern jeden Abbau der Zollschranken. Dann aber wird
unter dem übermächtigen Druck der vereinigten Konsumenten, also
der Industriellen, Kaufleute und Arbeiter, die zugleich eine Parla
mentsreform durchsetzen, der Zollschutz erst gemildert, dann all
mählich ganz beseitigt.
England ist heute noch dasjenige Land, dessen Zollpolitik durchaus
von Freihandelsprinzipien geleitet wird. Wohl hat auch England
Zölle, aber es sind nur reine Finanzzölle, deren Ertrag ungeschmälert
in die Staatskassen übergeht, ohne daß Dritte irgendwelchen Sonder
vorteil davon haben. Produkte, die auch im Inland erzeugt werden,
wie Getreide usw., werden mit Ausnahme der Spirituosen prinzipiell
nicht besteuert, weil ja die durch den Zoll bewirkte Preiserhöhung
einem kleinen Bruchteil des Volkes, eben den Produzenten, in Gestalt
höherer Einnahmen zugute käme. Es würde also neben dem Staat,
der seinen Zoll vom Import erhält, eine bestimmte Erwerbsklasse
einseitig auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, und dies vermeidet
die englische Finanzgesetzgebung im Interesse der sozialen Ge
rechtigkeit.
Die Aufhebung der Kornzölle 1846 vernichtete nun aber nicht etwa
die englische Landwirtschaft, im Gegenteil, sie wurde zu höherer
Produktion, zur Steigerung der Roherträge auf der Fläche, ange
spornt. Man konzentrierte sich auf die besseren Böden und erzielte
hier bei nur mäßig sinkenden Preisen höhere Erträge als bisher.
Gerade die Zeit von 1846 bis 1875 zählt zu den blühendsten der eng
lischen Landwirtschaft. Da aber, etwa um 1875, setzt mit Vehemenz
die überseeische Konkurrenz aus Amerika, Argentinien und Indien und
auch aus Rußland ein. Über ihre Ursachen ist viel geschrieben wor
den, sie liegen in erster Linie in der größeren Billigkeit des Bodens
der überseeischen Länder, in der verbesserten Verkehrstechnik,
namentlich der Verbilligung der Schiffsfrachten, und endlich in der