Full text: Grundfragen der englischen Volkswirtschaft

D : ":ER vieldeutige Sinn, der dem Worte Imperialismus inne- 
[ wohnt, könnte einmal durch eine ins einzelne gehende 
: Vergleichung der Zusammenhänge aufgedeckt werden, in 
denen dieses nach allen Seiten schillernde Wort gebraucht 
wird. So interessant ein solches Vorgehen sein mag, um zu einer 
klaren Begriffsbestimmung zu gelangen, so soll doch hierauf zurzeit 
verzichtet werden. Es sollen vielmehr die verschiedenen Bewegungen 
vorgeführt werden, die von ihren Trägern als «Imperialismus» be 
zeichnet werden. Ein Vergleich derselben miteinander wird das 
Wesen des Imperialismus deutlicher zu machen vermögen, als die 
vorsichtigste Begriffsbestimmung. 
I. 
Als Italien vor etwa anderthalb Jahren die Eroberung von Tripolis 
begann, begegnete man in fast allen Äußerungen der Überzeugung, 
eine neue politische Phase — die des Imperialismus — habe be 
gonnen. Die italienische Einheit in Italien sei fest begründet, ob 
wohl sich noch ein Bruchteil der italienischen Bevölkerung außer 
halb der Staatsgrenzen befinde. Italien blühe wirtschaftlich empor; 
es werde aber bei seiner beschränkten räumlichen Ausdehnung und 
den wenig günstigen Vorbedingungen für eine Industrialisierung 
noch für längere Zeit nicht imstande sein, seine wachsende Bevölke 
rung auf der heimatlichen Scholle zu ernähren. Diese nehme durch 
Geburtenüberschüsse um etwa eine halbe Million im Jahre zu; es 
könne sie bei einer Bevölkerungsdichtigkeit von fast 120 Menschen 
auf den Quadratkilometer nicht im Lande festhalten. Es müsse die 
Auswanderungsbewegung, die kaum zurückgehe, fortbestehen 
lassen, sie aber in ihren Richtungen beeinflussen. Bis jetzt habe sich 
diese italienische Einwanderung in fremde Länder ergossen; die 
Auswanderer seien dabei vielfach in Berufe eingeströmt, in denen 
für ihr Aufsteigen nicht Raum gewesen sei. Italien habe wertvolles 
Menschenmaterial verloren, ohne daß dasselbe dabei sozial gehoben 
worden sei. Es müsse jetzt endlich ein Gebiet gewonnen werden, 
in das sich der Strom der italienischen Auswanderung ergießen 
könne, wo der Auswanderer wirtschaftlich zu gedeihen vermöge und 
politisch mit dem Mutterlande verbunden bleibe. — Man mag zwar 
Veröffentlichungen der Handelshochschule München. I. Heft. 9
	        
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