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5. Verletzungen.
über die Mißbildungen nach Verletzungen kann ich mich kurz
fassen. Abgesehen von schweren komplizierten Brüchen, Zermalmung
und Verlust ganzer Gliedmaßen, darf eigentlich eine schwere Ver-
krüppelung nach einem einfachen Knochenbruch kaum vorkommen.
Daß dies doch noch so häufig der Fall ist, hängt meistens von der un-
genügenden Reponierung der Bruchstellen ab. Wie man letztere be-
werkstelligt, das zu erörtern, ist hier nicht der Platz. Es sei nur auf
die ungeheure Wichtigkeit der Narkose dabei hingewiesen, da es meist
nur in der Narkose gelingt, den Muskelzug zu überwinden und die
Bruchstücke wieder in ihre richtige Lage zu bringen. Dann ssei noch
gewarnt vor zu langen Fixationen, besonders bei Gelenkbrüchen und
Verrenkungen. Hier genügen, wenn überhaupt erforderlich, einige
Tage der Ruhigstellung. Besteht bei einem Unfall Verdacht auf eine
Knochenverletßung, die durch Schwellung der Weichteile und Erguß
ins Gelenk verdeckt wird, so haben wir heute in den Röntgenstrahlen
die Möglichkeit der absolut sicheren Diagnosenstellung. Unterlassung
einer derartigen Aufnahme würde evtl. einen ärztlichen Kunstfehler
bedeuten.
Überblicken wir obige Schilderung der verschiedenen Verkrüp-
pelungsarten, so sehen wir bei allen ausnahmslos, wie unendlich
wichtig die frühzeitige Diagnosenstellung ist. Auch bei den erworbenen
Deformitäten ist die frühzeitige Erkennung die Hauptsache, da sie im
Entstehen weit günstigere Heilungsausssichten bieten. Bei der über-
wiegenden Rolle, die die tuberkulösen und rachitischen Gelenkerkran-
kungen spielen und bei dem prädisponierenden Moment, das durch
schlechte Ernährung, Unsauberkeit, schlechte und mangelhafte Wohn-
verhältnisse geschaffen wird, leuchtet die Wichtigkeit ein, durch ent-
sprechende Wohnungshygiene, Körperpflege und Aufklärung hier-
gegen anzukämpfen. Die Ürzte allein sind hierzu nicht imstande. Ge-
rade das Lehrpersonal der Schulen, Schwestern, Pflegerinnen kommen
seit dem bedauerlichen Schwinden des alten Hausarztes weit häufiger
mit der Bevölkerung in Berührung und sind mit ihren Verhältnissen
vertrauter, so daß sie angeben können, wenn Gefahr im Verzug ist.
Auch unter den heutigen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen spart
eine Gemeinde durch eine rechtzeitige und ausreichende Behandlung
eines gefährdeten Kindes mehr, als wenn es erst die Verkrüppelung
zur vollen Ausbildung kommen läßt und dann der Betreffende der
Gemeinde zur Last fällt. Wenn auch die momentanen Ausgaben groß
sind, so lohnen sie sich doch im Hinblick auf die Zukunft. Es ist nur
stets zu beachten, daß es bei diesen Leiden meist nicht mit einer ein-
maligen Behandlung getan ist, sondern daß der Betreffende weiter
unter Beobachtung bleiben muß, meist bis zum Abschluß des Wachs-
tums.
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