Full text: Neuzeitliche Krüppelfürsorge

ein Interesse daran, die von ihnen zu übernehmenden Krüppel so früh 
als irgend möglich zu bekommen; denn die frühzeitige Entkrüppelung 
ist die billigste und bietet die besten Aussichten auf Erfolg. Leider sind 
die Nachwirkungen der Inflationszeit noch nicht ganz überwunden, 
so daß man noch nicht allen Krüppeln in dem Maße, wie es eigentlich 
erforderlich wäre und wie man es gerne möchte, helfen kann. Um die 
pekuniäre Belastung durch die verhältnismäßig teure Anstaltsbehand- 
lung weniger fühlbar zu machen, hilft man sich teilweise mit dem 
System der „Beurlaubung“, d. h. man sendet einen Krüppel bereits 
aus der Ansstaltspflege nach Hause, ehe die Behandlung abgeschlossen 
ist. Z. B. wenn der Krüppel für mehrere Wochen im Gipsverband 
liegen muß, was er ja bei genügender häuslicher Pflege gerade so gut 
zu Hause kann wie in der Anstalt, so beurlaubt man ihn für die be- 
stimmte Zeit mit der Weisung, daß er sich dann zur Weiterbehandlung 
wieder in der Anstalt einfinden muß. Um diese Form der Behandlung 
mit Beurlaubung oder auch die sogenannte „halbambulante“ Form 
(bei der die Kinder nur wenige Tage im Heim bleiben, um dann wieder 
für einige Zeit nach Hause zu gehen) in ausgedehntem Maße an- 
wenden zu können, muß aber die überwachung und die ambulante 
Krüppelfürssorge in den Kreisen und Städten weiter ausgebaut werden, 
als dies bisher der Fall ist. Hierbei muß man sich auch hüten, was 
nicht oft genug betont werden kann, die Aufgaben der Krüppelfürsorge 
nur von der ärztlichen Seite aus zu betrachten. Die Behandlung 
schafft gewiß in vielen Fällen erst die Grundlage für die Beschulung 
und die Berufsausbildung, aber ohne diese beiden anderen Faktoren 
ist die Behandlung oft auch ohnmächtig. Wie so oft in der Zeitschrift für 
Krüppelfürsorge, auf den Kongressen der Deutschen Vereinigung für 
Krüppelfürsorge, in Bi es als k is Leitfaden und vielerorts sonst be- 
tont wurde, gehört diese Dreiheit in der Krüppelfürsorge unweigerlich 
zusammen. Wie ein Schemel, dem man von seinen drei Beinen eins 
ausreißt, nicht mehr stehen kann, so fällt die Krüppelfürsorge in sich 
selber zusammen, wenn man sie eines dieser Faktoren beraubt. Noch- 
mals sei es gesagt: Nicht der „Fall“ des und des Leidens soll behandelt 
werden, sondern der Krüppel, der lebendige Mensch, der an einem Leiden 
krankt, soll durch Fürsorge zur Erwerbsbefähigung gebracht werden. 
So ist es die Absicht des Gesetzes, und nur so kann die Krüppelfürssorge 
den Zweck erreichen, aus unproduktiven Almosenempfängern, die der 
Allgemeinheit laufend nicht nur pekuniäre Unkosten bereiten, sondert 
auch sittliche Werte vergeuden, Steuerzahler zu machen, die selber das 
Bewußtsein des in der Arbeit liegenden sittlichen Wertes haben. Nicht 
nur die Anstaltsfürssorge erfordert diese Zusammengehörigkeit von 
Klinik, Schule, Werkstatt, sondern gerade so gut auch die ambulante 
Krüppelfürsorge; denn wie oben gesagt, ist die ambulante Fürsorge 
nicht prinzipiell von der Ansstaltsfürsorge getrennt; es bestehen flie- 
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