Full text: Der geistige Arbeiter in der gegenwärtigen Gesellschaft und Geschichtsepoche

auch wenn er einen Gehalt als Beamter bezieht. Ich kann 
mich nicht darauf einlassen, das noch im einzelnen auszuspinnen. 
©) Der Markt der geistigen Arbeit. Der Zwang zur 
Schaffung von Gewerkschaften. 
Daraus ergibt sich ein zweites. Wir wissen, die Arbeitskraft 
ist eine Ware, und jede Ware hat ihren Markt. Es gibt einen 
Arbeitsmarkt für Lohnarbeiter, wie Bäckergesellen usw. Nun 
tritt eine neue Erscheinung auf: Mit der Überfüllung ihres Be- 
rufs hat die geistige Arbeit einen Markt bekommen, einen Ar- 
beitsmarkt für geistige Arbeiter. Früher hat es allerdings 
z. B. für Juristen auch einen Markt gegeben ~ wenn ich so 
sagen darf ~, das war der Heiratsmarkt. Man wußte: ein 
Advokat in diesem Bezirk hat einen Anspruch auf eine Braut 
mit 200000 Mark Vermögen. Ich kenne die Berliner Usancen 
nicht ~ in Wien hat man in jedem Stadtviertel gewußt, was 
der Advokat dort an Mitgift erwarten kann. Aber heute ist 
es anders, heute hat jede Arbeit einen Arbeitsmarkt, und der 
Arbeitsmarkt ist überfüllt. Wenn die geistigen Arbeiter ihre Lage 
verbessern wollen, so können sie sich noch immer selbst vorgau- 
keln, daß sie auf einer Jakobsleiter hinaufsteigen. Aber sie 
werden entdecken, daß das keine Jakobsleiter ist, sondern eine 
Pyramide, die sich nach oben verjüngt, und sie werden sehen, 
daß das Gedränge nach oben so groß wird, daß alle Hoffnung 
schwindet. Es bleibt ihnen also zur Besserung ihrer Lage nur 
übrig, die Methoden anzuwenden, die man auf dem Arbeitsmarkt 
anwendet, das heißt gewerkschaftliche Kampfmittel. 
Daher die Tatsache, daß in den letzten zwei Jahrzehnten erst da 
und dort, dann in allen Ländern die geistigen Arbeiter angefan- 
gen haben, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Es wird einer 
einwenden: die Juristen haben ihre Juristenvereine schon in den 
sechziger Jahren gehabt. Aber diese Juristenvereine waren Stan- 
desvereine. Man ist jeden Monat einmal im dunklen Rock zusam- 
mengekommen, um gemeinsam zu speisen, dann ist man bei fest- 
lichen Gelegenheiten gemeinsam mit dem Zylinderhut ausgerückt. 
Aber das war kein gewerkschaftlicher Kampfverein. Die Angestell- 
tenvereine sind heute Kampforganisationen auf dem Arbeitsmarkt. 
Natürlich ist es verständlich, daß ich mich immer ungenau 
ausgedrückt habe, wenn ich von den alten Laiengelehrten als 
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